Perdido - Im Bann des Vampirjägers
Hugo wollte, dass du dich bei mir entschuldigst«, sagte Kristall.
»Nicht? Dann nehme ich natürlich sofort alles zurück«, erwiderte Herkules rasch. »Wo liegt dann das Problem?«
Es war Hugo, der antwortete. »Das Problem ist Kristalls vierte Prophezeiung. Auch die wird sich erfüllen, das habe ich gerade eben begriffen, und ich kann nichts tun, um den Lauf des Schicksals aufzuhalten.«
»Die vierte Prophezeiung?« Herkules’ Barthaare bebten gespannt. »Wie lautete die gleich wieder?«
Hugo nickte Kristall zu. In seinen blauen Augen standen die Tränen.
»In meiner vierten Prophezeiung«, sagte die Katze stockend, »habe ich den Tod von Hugos Onkel vorhergesagt.«
53. Kapitel
H
erkules spähte beklommen die Treppe zur Eingangshalle hoch. Dann gab er sich einen Ruck. »Hört zu – wenn Walter inzwischen ein Mezzaghul ist, kann ihm sowieso nichts Schlimmeres mehr zustoßen, als dass ihn Mephisto mit dem Juwelenschwert ersticht.«
Hugo betrachtete zum ersten Mal, seit er sich hatte setzen müssen, wieder die Waffe in seiner Hand. »Aber das Schwert habe ja ich«, erwiderte er kaum hörbar.
»Eben. Walters Schicksal liegt in deinen Händen.«
»Das stimmt«, pflichtete Kristall dem Mäuserich bei. »Denkt am besten nicht mehr an meine Prophezeiung. Wenn man es wirklich will, kann man den Lauf des Schicksals ändern. Es liegt bei euch.«
»Wozu dann das ganze Theater?«, fragte Herkules tatendurstig. »Willst du hier sitzen bleiben und so lange in Selbstmitleid versinken, Hugo, bis dich Mephisto einholt und umbringt, oder wollen wir die Mezzaghule erlösen und dem Obervampir den Garaus machen?«
Hugo riss sich zusammen und stand schwerfällig auf. »Lasst uns dem Obervampir den Garaus machen!«
Am Fuß der Wendeltreppe gelangten sie in einen breiten, von einer Wandfackel nur spärlich erhellten Flur. Kristall lief voraus, Hugo nahm die letzten vier Stufen auf einmal. Doch nach etwa dreißig Schritten versperrte ihnen ein massives Eisengitter den Weg. Vor dem Gitter hielten zwei Vampire Wache. Auf ihrer leichenblassen Haut traten die Adern hervor, aus ihren roten Augen sickerte gelber Eiter. Als sie die Eindringlinge sahen, stellten sie sich breitbeinig hin und sperrten hungrig die reißzahnbewehrten Mäuler auf.
»Na prima«, seufzte Herkules. »Noch zwei von den hässlichen Käsegesichtern. Und jetzt?«
»Das überlass nur mir.« Hugo ging auf die beiden zu.
»Halt mal!« Herkules klammerte sich an den Kragen seines Freundes.
»Mach dir um mich keine Sorgen«, raunte ihm Hugo zu. »Ich weiß schon, was ich tue.«
»Ich mache mir keine Sorgen um dich. Meinetwegen darfst du gern ein Held sein. Aber du kannst mich doch nicht mit Kristall allein lassen!«
Hugo kümmerte sich nicht um Herkules’ Einwände, ging weiter und blieb ein paar Meter vor den beiden Vampiren stehen. Die Scheusale knurrten und bleckten fauchend die Zähne, Speichel tropfte ihnen aus den blutlosen Mundwinkeln. Dann kamen sie auf den Jungen zugestapft.
»Stehen bleiben!«, befahl Hugo ihnen und hielt das Juwelenschwert in die Höhe.
»Als Besitzer dieses Schwertes bin ich euer Herr und Meister und ihr habt mir zu gehorchen. Aus dem Weg!«
Die beiden Vampire betrachteten das Juwelenschwert einen Augenblick lang gebannt, dann schoben sie sich wortlos an Hugo vorbei und gingen weiter den Flur entlang, bis das Zwielicht sie verschluckte.
»Das waren ja die reinsten Quasselstrippen«, sagte Herkules ironisch.
»Da bin ich ganz deiner Meinung«, entgegnete Hugo. »So richtig lebhaft waren sie nicht.«
Hugo hielt die Fackel vor das Gitter und spähte hindurch. Dahinter war es dunkel, aber er konnte undeutlich Gestalten ausmachen. Sie kauerten in Grüppchen auf dem Boden oder tappten ziellos in ihrer finsteren Gruft umher.
»Das müssen die Mezzaghule sein«, sagte Kristall. »Vielleicht schlagen sie sich ja auf unsere Seite – aber wie sollen wir das Gitter aufkriegen?«
Hugo griff in die Eisenstäbe und versuchte, sie mit aller Kraft hochzuschieben, musste aber einsehen, dass es zwecklos war.
»Womöglich gibt es irgendwo einen versteckten Schließmechanismus«, überlegte Herkules laut. »In der Wand oder so.«
Hugo steckte seine Fackel in eine leere Halterung neben dem Gitter, betrachtete das Mauerwerk aufmerksam und fuhr tastend mit der Hand darüber. Als er nichts Auffälliges entdeckte, wandte er sich im schwachen Fackelschein der gegenüberliegenden Wand zu.
»Hier ist etwas!«, rief er aus. »Eine Öffnung …
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