Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Perfect Copy - Die zweite Schöfung

Perfect Copy - Die zweite Schöfung

Titel: Perfect Copy - Die zweite Schöfung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
Vom Netzwerk:
jedenfalls seltsam vor, aber ich bin lange genug geblieben, um zu merken, dass da etwas dran ist. Später habe ich gelesen, dass manche Wissenschaftler behaupten, das musikalische und das mathematische Denken seien stark miteinander verwandt. Bei beidem geht es um das Erfassen der abstraktesten Zusammenhänge, die wir kennen. Die Schönheit einer Melodie, die Schönheit eines mathematischen Beweises – beides Empfindungen, für die man einen besond e ren Sinn braucht, den nicht jeder hat. Verstehst du?«
     
    Wolfgang verstand nicht. Er sah ihn nur an und fragte sich, worauf der Mathematiklehrer, der im Sommer immer karierte Hemden und im Winter immer karierte Pullover trug, hinauswollte.
    »Das sind natürlich Dinge«, fuhr Rittersbach fort, als habe er nicht ernsthaft auf eine Antwort gehofft, »die ich unmöglich vor der Klasse ausbreiten konnte. Das wäre für die meisten viel zu abgehoben. Aber ich glaube, dass du etwas damit anfangen kannst. Wenn du dir die Zeit gibst, ein wenig darüber nachzudenken.«
    Wolfgang sah auf seine Arbeit hinunter, auf die enttäuschende Note in hellroter Tinte darunter. »Heißt das, ich sollte lieber mit der Musik aufhören, weil ich so schlecht in Mathe bin?«, fragte er.
    Rittersbach griff schmunzelnd in seine speckige Aktentasche und zog einen großen Umschlag heraus.
    »Nein, um Himmels willen! Was ich damit sagen wollte, war, dass ich glaube… nein, dass ich felsenfest überzeugt bin, dass deine Noten in Mathematik nicht deine wirkliche Begabung auf diesem Gebiet widerspiegeln.«
     
    Wolfgang ballte die Hände unter dem Tisch zu Fäusten. Wenn ich heute noch einmal das Wort Begabung höre, fange ich an zu schreien!
     
    Rittersbach bemerkte nichts davon. Er wedelte mit dem großen hellblauen Umschlag. »Das hier sind die Wettbewerbsunterlagen der Deutschen Mathematikstiftung. Ich glaube, das wäre das Richtige für dich. Etwas anderes als der Unterricht, den der Lehrplan vorschreibt. Eine richtige Herausforderung.«
    »Ein Wettbewerb? «, wiederholte Wolfgang verdutzt. »Ich?«
    »Drei Aufgaben, und du hast bis zum Ende des Schuljahres Zeit, sie zu lösen.« Rittersbach lächelte wohlwollend und legte die Unterlagen vor ihn hin. »Pro Klasse darf ich zwei solche Umschläge verteilen. Schau es dir einfach mal an.«
    Der Umschlag sah höchst beeindruckend aus, zeigte ein Emblem aus mathematischen Symbolen und war durch einen Hologrammkleber mit aufgedruckter Seriennummer verschlossen. Wolfgang nahm ihn in die Hand. Er wog schwer. »Aber ich kriege dieses Jahr höchstens eine Drei in Mathe«, gab er zu bedenken.
    »Wenn es dir gelingt, Spaß an Mathematik zu entwickeln, werden Noten nicht mehr das Problem sein«, erwiderte der Lehrer.
    Normalerweise hätte Wolfgang abgelehnt. Noch vor einer Woche hätte er den Umschlag höflich lächelnd zurückgegeben und erklärt, mit seinem Cellounterricht vollauf ausgelastet zu sein. Aber die Dinge hatten sich geändert. Plötzlich beschlich ihn das Gefühl, dass er sich besser ein bisschen umsah, was es in der Welt noch alles gab außer Cellospielen.
    »Also schön«, sagte er. »Ich kann's ja mal probieren.«
    #
     
    Aber als er den großen Umschlag zu Hause neugierig öffnete, stellte er fest, dass er von Mathematik offenbar noch viel weniger verstand, als er bisher befürchtet hatte. Es waren in der Tat nur drei Aufgaben, aber diese ähnelten keiner Aufgabe, die sie je im Schulunterricht behandelt hätten. Beweisen Sie hieß es in jedem Text, der ansonsten unverständliches Kauderwelsch war. Gegeben sei ein Parallelenpaar AB… stand da oder Für alle natürlichen Zahlen größer 2 gilt …, und danach verstand er nur noch Bahnhof.
     
    Rittersbach hatte ja wohl einen Vogel.
     
    Beweisen ? Wie sollte er das denn anstellen? Wolfgang blätterte zerstreut und mit einem schalen Gefühl im Mund die Unterlagen durch, die sonst noch in dem Umschlag gewesen waren – ein Prospekt über die Deutsche Mathematikstiftung, der offizielle Rücksendeumschlag mit aufgedruckter Kennziffer, neben den man bitteschön das holografische Siegel kleben sollte, ein Formblatt, auf dem man mit Unterschrift zu erklären hatte, die Aufgaben selbstständig gelöst zu haben, und ein Faltblatt, aus dem man ersehen konnte, was es zu gewinnen gab: Eine Menge Reisen nach Brüssel zu einem Kongress für Nachwuchsmathematiker, und eine zehntägige Reise in die USA war der Hauptgewinn, selbstredend ebenfalls inklusive Besuch eines mathematischen Kongresses. Na

Weitere Kostenlose Bücher