Perfect Copy - Die zweite Schöfung
verschwinden würde. Drehte jetzt alle Welt durch, oder was? Mit dem Gefühl, entschieden im falschen Film zu sein, kehrte er in sein Zimmer zurück, zog gleichfalls die Tür hinter sich zu und drehte obendrein den Schlüssel herum. Was er schon ewig nicht mehr gemacht hatte.
Die blödsinnigen Wettbewerbsunterlagen machten sich immer noch auf seinem Schreibtisch breit. Dabei konnte man auf einen Blick sehen, dass sie da nichts zu suchen hatten. Wolfgang fegte sie mit einer einzigen Armbewegung in den Papierkorb und fühlte sich gleich viel besser.
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Kapitel 4
Svenja. Das war Svenja, die da mit ein paar Mädchen in der Ecke des Schulhofs stand, die Tasche vor den Bauch gedrückt. Und sie sah zu ihm herüber!
Etwas wie eine heiße Woge wallte aus dunklen Tiefen hoch in seine Brust und seinen Kopf. Einbildung. Wunschdenken, ganz klar. Wolfgang schob sein Fahrrad zum Stellplatz und sah nicht nach rechts oder links dabei, tat, was er jeden Morgen tat, und ließ sich höchstens etwas mehr Zeit als sonst.
Doch als er sich umdrehte, stand sie immer noch da, war ihm sogar ein paar Schritte entgegengekommen. Ihre Freundinnen waren verschwunden. Unglaublicherweise sah es so aus, als warte sie auf ihn.
Er konnte unmöglich so tun, als bemerke er sie nicht.
»Hallo, Svenja«, brachte er heraus. Es klang beinahe normal. Er bemühte sich, zu lächeln und seine seltsam zittrigen Knie zu ignorieren.
»Hallo, Wolfgang«, erwiderte sie, ihre Büchertasche wie einen Schutzpanzer vor sich pressend. »Sag mal, der Rittersbach hat gesagt, dass du an dem Mathematikwettbewerb teilnimmst?«
Wolfgang verspürte eine diffuse Mischung aus Erleichterung und Enttäuschung. »Ja«, nickte er. »Wieso?«
»Na ja«, sagte sie, »ich auch.«
»Ach so.« Er wusste nicht, was er noch sagen sollte. Völlige Leere im Hirn. Großes schwarzes Loch.
»Und?«, fragte Svenja. »Wie sind deine Aufgaben so?«
Er musste schlucken. »Schwierig.« Dann fiel ihm etwas ein. »Wieso? Du hast sie doch auch, oder?«
Sie musterte ihn zweifelnd. »Du solltest die Begleitunterlagen lesen. In jeder der drei Kategorien werden zehn verschiedene Aufgaben gestellt, immer anders gemischt.«
»Ach so.« Er überlegte. »Das heißt, es gibt, ähm…«
»… zehn mal zehn mal zehn, also tausend verschiedene Kombinationen«, ergänzte Svenja. »Logisch. Damit man nicht so leicht schummeln kann.«
Er sah sie verblüfft an. Die Mädchen seiner Klasse waren alle ziemliche Nieten in Mathe und schienen auch noch stolz darauf zu sein. Es war gewöhnungsbedürftig, mal ein Gegenbeispiel kennen zu lernen. »Tausend«, nickte er. »Klar.«
Sie zog eine Chipkarte aus ihrer Tasche. »Der Rittersbach hat mir einen Schlüssel zur Oberstufenbücherei gegeben. Er meint, die Wettbewerbsaufgaben sind für uns noch ziemlich ungewohnt und ich soll mir ein paar Bücher dort anschauen, wie man Beweise führt und so weiter. Na ja, und ich dachte, ich frag dich mal, ob du nicht mitkommen willst.«
»Oh«, hörte Wolfgang sich sagen. »Klar. Ja. Tolle Idee. Gern. Danke.« Und während sein Mund das wie von selbst von sich gab, hatte er das Gefühl, knallrot anzulaufen, zur Tomate auf zwei Beinen zu werden.
»Bei euch fällt heute die fünfte Stunde aus, und bei uns auch. Sollen wir uns da treffen?«
»Okay«, nickte Wolfgang, während ihm siedend heiß einfiel, dass seine Wettbewerbsunterlagen zu Hause im Papierkorb lagen und heute Donnerstag war und Frau Krämer diesen Vormittag zum wöchentlichen Großputz kommen würde. »Fünfte Stunde. Alles klar.« Er hatte das Gefühl, bei alldem zu grinsen wie ein Honigkuchenpferd.
»Junge, Junge«, sagte Cem, als Wolfgang ihm erklärte, warum er unbedingt in der Pause zwischen der ersten und zweiten Stunde nach Hause rasen und Cem ihn entschuldigen musste, bis er zurück war. »Die steht auf dich, das ist dir hoffentlich klar?«
»Quatsch«, sagte Wolfgang, obwohl er es nur zu gerne hörte. »Es geht um diesen Wettbewerb, das hab ich dir doch gesagt.«
Cem verdrehte die Augen. »Sag mal, bist du so schwer von Begriff, oder tust du nur so?«
»Ich bin nicht schwer von Begriff. Ich bausche nur nicht gleich alles auf.«
»Ich bausche überhaupt nichts auf, mein Lieber. Ich zähle nur zwei und zwei zusammen. Primitive Mathematik, gebe ich zu, aber vielleicht solltest du auch erst mal damit anfangen. Ich habe das doch gerade richtig gehört – Rittersbach darf zwei Umschläge pro Klasse verteilen, oder?«
»Ja«, nickte
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