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Perfect Copy - Die zweite Schöfung

Perfect Copy - Die zweite Schöfung

Titel: Perfect Copy - Die zweite Schöfung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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Wolfgang.
    »Schön. Und jetzt sag mir bitte: Wer hat, deiner Meinung nach, in unserer Klasse den anderen Umschlag bekommen? Hmm?«
    Wolfgang riss die Augen auf. »Marco!«, dämmerte es ihm. Klar, es kam niemand anderer in Frage. Marco Steinmann schrieb in Mathe nur Einsen.
    Cem grinste. »Merkst du was?«
    Das war ja nicht zu fassen. Sie lud ihn ein, obwohl sie sich zusammen mit ihrem festen Freund an die Aufgaben hätte machen können…? Wolfgang fühlte seinen Mund trocken werden. »Am Ende kommt der heute Mittag auch«, ächzte er.
    »Garantiert nicht. Jede Wette.«
    »Neben Marco blamier ich mich bis auf die Knochen.«
    »Ach was. Sie will mit dir allein sein, sag ich dir«, meinte Cem. »Und soll ich dir noch einen gut gemeinten Rat geben?«
    Wolfgang nickte ergeben. »Ja. Bitte.«
    »Begnüg dich nicht damit, mit ihr zusammen Mathe zu machen. Sonst endest du bloß als guter Kumpel.«
    »Sondern?«
    »Du musst sie dazu bringen, dass sie mit dir irgendwohin geht. Lad sie zu 'nem Eis ein. Oder ins Kino. Oder was dir sonst einfällt.«
    »Obwohl sie 'nen festen Freund hat?«
    »Klar. Ist doch nicht dein Problem.«
    Wolfgang runzelte die Stirn. »Aber was soll ich ihr für einen Grund sagen?«
    »Keinen. Du möchtest es gerne, das reicht.«
    Das ließ er sich eine Weile durch den Kopf gehen. Cem hatte außer einem großen Bruder zwei ältere Schwestern, von denen eine bereits verheiratet war, und wusste deshalb, »wie Frauen tickten«, wie er es auszudrücken pflegte. Tatsächlich war er der heimliche Schwarm vieler Mädchen an der Schule und tat sich beneidenswert leicht im Umgang mit ihnen.
    »Und wenn sie nicht will?«, fragte Wolfgang.
    Cem nestelte grinsend an dem Silberkettchen, das er um den Hals trug. »Dann will sie wirklich bloß Mathe machen, und ich habe mich grässlich geirrt.«
    #
     
    Sieben Minuten vor Schluss der Stunde schützte Wolfgang ein dringendes Bedürfnis vor, verließ das Klassenzimmer und rannte, anstatt die Toilette aufzusuchen, die Treppe hinab und hinaus zum Fahrradstellplatz, wild entschlossen, einen persönlichen Rekord aufzustellen. Normalerweise brauchte er für den Heimweg mit dem Rad ungefähr fünfzehn Minuten: Es ging ein Stück durch den alten Dorfkern, wo man nicht so fahren konnte, wie man wollte, dann zwischen dem Rathaus und einer Apotheke auf eine Halbhöhenstraße, entlang an älteren, verwitterten Häusern, und dann steil zur Waldrandsiedlung hoch. Diese letzte Etappe schlauchte auf dem Rückweg; normalerweise schaffte er es höchstens bis zur ersten Kehre, dann musste er absteigen und den Rest des Weges schieben.
     
    Heute nahm er den Anstieg mit so viel Schwung, dass er mühelos bis über die erste Kehre hinaus, fast bis zur zweiten kam, wo er absprang und mit dem Rad im Laufschritt weiterhetzte – immer Frau Krämer vor Augen, wie sie gerade dabei war, seinen Papierkorb zu leeren.
    Das Haus der Wedebergs lag am Hang, an der Außenseite der vorletzten Steilkehre und von dieser durch eine hohe, von Efeu weitgehend überwucherte Betonmauer getrennt. Dichtes Gebüsch erhob sich dahinter, und zahlreiche Tannen und Fichten auf dem Grundstück waren im Lauf der Jahre so hoch und dicht gewachsen, dass man das Haus von der Straße aus nicht mehr sehen konnte. Alles, was man sah, war die Einfahrt der in den Berg gebauten Doppelgarage und daneben, vor der steilen Auffahrt zur Haustür, ein schwarzes, schmiedeeisernes Tor, das auch gut zu einem Spukschloss gepasst hätte.
    Wolfgang stürmte hindurch, ließ sein Rad fallen und keuchte zum Haus hoch. Auf den letzten Schritten, völlig außer Atem und verschwitzt, zerrte er den Hausschlüssel aus der Tasche, traf fast das Schlüsselloch nicht und konnte endlich hinein, atemlos die Treppe hinauf.
    Er war gerade halb oben, als er durch die angelehnte Tür des Arbeitszimmers Vater schreien hörte. »Ich habe gesagt, Sie sollen mich nicht mehr anrufen, verdammt noch mal! Ich habe Ihnen nichts zu sagen, verstehen Sie?! Nicht das Geringste!« Der Telefonhörer wurde wütend auf den Apparat geknallt.
    Wolfgang hatte irritiert innegehalten. Sein Atem ging immer noch heftig, sein Herz raste, und seine Beine waren bleischwer. Das Blut rauschte ihm in den Ohren, trotzdem war er sich sicher, richtig gehört zu haben.
    Was das wohl wieder für eine Geschichte war? Vor Jahren hatte ein reicher Mann die Klinik verklagt, weil sein krebskranker Sohn trotz der teuren Behandlung gestorben war. Damals hatten auch dauernd Anwälte angerufen und

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