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Perfect Copy - Die zweite Schöfung

Perfect Copy - Die zweite Schöfung

Titel: Perfect Copy - Die zweite Schöfung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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schlampte, und so weiter. Stümperhaft. Doch nach ein paar Minuten wurde er ruhiger, wurden die Töne voller und präziser, füllten den Raum, der beinahe klang wie ein Konzertsaal. Das hatte er fast vergessen, weil Vater schon lange keine Aufnahme mehr von seinem Spiel gemacht hatte, was er früher oft getan hatte, immer hier unten im Wohnzimmer. Wolfgang spielte und vergaß die Welt umher.
    Als das Stück zu Ende war, sah er von seinen Noten hoch und Svenja an und war einen Moment verblüfft, dass sie da war. Aber sie wirkte nicht wirklich begeistert.
    »Es gefällt dir nicht, stimmt's?«, meinte er.
    Sie lächelte zaghaft. »Also, meine Lieblingsmusik wird's wahrscheinlich nicht«, gestand sie und setzte rasch hinzu: »Aber man merkt, dass du es ziemlich gut kannst. Das hatte was.«
    Wolfgang verzog das Gesicht. »Na ja. So toll war es gar nicht.«
    »Tu nicht so. Ich fand's echt beeindruckend.«
    »Nein, ehrlich, ich hab eigentlich schlecht gespielt. Ich war ziemlich nervös und so.«
    Svenja grinste spitzbübisch. »Das will ich auch hoffen.«
    »Ich kann noch was anderes spielen, wenn du möchtest«, bot er an, doch da verzog sie verschämt das Gesicht. »Ach, vielleicht ein andermal. Im Moment wäre es, glaube ich… na ja, ein bisschen verschwendet. Meine Ohren sind das nicht gewöhnt, weißt du?« Sie nahm einen Schluck aus ihrem Glas, was ein wenig nervös aussah oder wie ein Ablenkungsmanöver.
    »Wie bist du eigentlich mit den Aufgaben für den Wettbewerb zurechtgekommen?«, fragte sie dann.
    Wolfgang blinzelte, brauchte eine Weile für den Themenwechsel. Er legte sorgsam das Cello beiseite und den Bogen darauf. »Na ja. Zwei gingen einigermaßen, aber für die dritte Aufgabe hab ich achtundzwanzig Seiten gebraucht. Da hab ich mich wahrscheinlich in den Wald gerechnet.«
    »Achtundzwanzig Seiten? Das ist echt verdächtig.«
    »Hab ich auch gedacht, aber mir hat's einfach gereicht. Ich hab heute Morgen alles zusammengeschrieben und abgeschickt. Und du?«
    »Ging so. Ich hatte eine Aufgabe, die total leicht war, die anderen beiden waren so lala. Abschicken muss ich's noch.«
    Eine Pause entstand. Wolfgang hatte das Gefühl, dass Svenja etwas ganz anderes beschäftigte, und er hoffte nur, es mochten nicht Überlegungen sein, dass sie mit jemandem, der klassische Musik mochte und in Mathematik Schwierigkeiten hatte, lieber doch nichts anfangen wollte.
    »Diese ganzen Bilder…«, begann sie und ließ den Zeigefinger Kreise ziehen, »hast du die gemalt?«
    »Ich?« Wolfgang sah die Galerie der großen und kleinen, gerahmten und hinter Glas gelegten Aquarelle an und musste auflachen. »Nein. Die malt meine Mutter.«
    »Deine Mutter? Echt?« Das schien sie nicht nur zu verblüffen, sondern auch zu erleichtern. »Die sind ziemlich… ich weiß nicht.« Sie betrachtete eines davon, eine dunkle, in Grün- und Blautönen gehaltene Meeresszenerie. »Unheimlich, irgendwie.«
    »Findest du?«
    »Als hätte es jemand gemalt, dem ein Tonnengewicht auf der Seele liegt.«
    Wolfgang besah sich das Bild, das dort an der Wand hing, seit er denken konnte. Das Meer darauf sah wirklich aus wie ein gefräßiges Tier. »Na ja, das hat sie gemalt, als ich unterwegs war. Vielleicht hat es ihr damals Leid getan, ihre Karriere als Sängerin aufzugeben.«
    Svenja nickte grüblerisch. »Ja, vielleicht.« Es klang nicht, als habe sie das überzeugt.
    Wolfgang hatte plötzlich das Gefühl, seine Mutter in Schutz nehmen zu müssen. »Sie malt nicht lauter so düstere Sachen, weißt du? Ich kann dir ihr Atelier zeigen, wenn du willst. Da hat's jede Menge Bilder ganz in Gelb, zum Beispiel.«
    Sie runzelte die Stirn. »Ist es denn okay, wenn du mir das zeigst?«
    »Klar, völlig«, versicherte Wolfgang eifrig. »Ich hab da drin immer gespielt als Kind. Und sie hat die Tür sowieso immer offen, wenn sie da ist. Sie schließt nur ab, wenn sie außer Haus geht. Ich glaube, damit Frau Krämer nicht reingeht und aufräumt.«
    »Also, ich würde so was schon gern mal sehen«, meinte Svenja. »Wenn ich auch ehrlich nichts davon verstehe.«
    Wolfgang sprang auf. »Warte, ich suche mal den Schlüssel.«
    Doch der war nicht in der Holzschale auf der Garderobe. Der Schlüssel zum Atelier hatte einen auffälligen Anhänger, ein knubbeliges Lederteil mit Fransen, an dem man ihn von weitem erkannte. Hatte Mutter ihn mitgenommen? In dem Moment, in dem er sich das fragte, schoss Wolfgang eine Erinnerung durch den Kopf wie ein kurz aufleuchtendes Dia: wie er

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