Perfect Copy - Die zweite Schöfung
dem Moment, in dem er das dachte, wusste er, dass es nicht stimmte. Svenja war nicht so. Das spielte für sie alles keine Rolle. Sie war gekommen, weil sie es gewollt hatte, weil sie ihn Cello spielen hatte hören wollen… oder weil sie ihn ein bisschen leiden mochte? Vielleicht. Hoffentlich. Toll wäre das natürlich schon…
Er hätte sich zu gern einen Moment ausgeklinkt, Cem angerufen und um Rat gefragt, was er tun oder lassen musste, um es nicht zu versauen. Bei Cem sah es immer so leicht aus, wie er mit Mädchen redete und sie zum Lachen brachte; er wirkte dabei völlig entspannt. Dabei war es echt Stress.
Allerdings – warum eigentlich? Bis jetzt war Svenja total nett gewesen. Kein Grund, sich Sorgen zu machen.
»Hier hause ich«, sagte er und sah voller Unbehagen, dass das Bett nicht gemacht war und alte Socken herumlagen und überhaupt der völlige Schweinestall herrschte. Es roch auch ziemlich streng, nach Schlaf und Schweiß und schlechten Träumen. Er ging hastig ans Fenster und riss es auf. »Wir können das Mathezeug ja mit runternehmen.«
»Ach, wieso denn«, meinte Svenja, die den Notenständer samt Noten schon abgestellt hatte und am Schreibtisch stand, die erste Seite seines wirren Konzepts studierend. »Das sieht aber ziemlich merkwürdig aus«, stellte sie fest. »Wie bist du denn auf die Idee gekommen, so anzufangen?«
»Keine Ahnung«, gestand Wolfgang. Vielleicht war der Geruch ja doch nicht so unerträglich. Er schlug hastig die Bettdecke über das zerwühlte Laken und den hingeknüllten Schlafanzug. »Ist mir irgendwann so eingefallen.«
Svenja blätterte weiter. »Äußerst merkwürdig, ehrlich. Ich glaub nicht, dass ich kapiere, worauf du da hinauswillst.«
»Ehrlich gesagt bin ich mir selber nicht mehr sicher, dass es da überhaupt was zu kapieren gibt.« In letzter Zeit braucht bloß jemand etwas von mir zu erwarten, und schon wird er en t täuscht. Das sagte er nicht, aber er dachte es. Seine Beine füh l ten sich plötzlich so labberig an, dass er sich hinsetzen musste. Überhaupt, hatte nicht auch sein Cellospiel nachgelassen? Was er da vorhin geboten hatte, war ja unterstes Niveau gewesen. Die rote Kassette fiel ihm wieder ein, die er neulich in der Anlage seines Vaters gehört hatte, diese uralte Aufnahme. Der Stimme nach konnte er damals keine zehn Jahre alt gewesen sein, und da hatte er gespielt wie ein Weltklasse-Cellist.
Svenja setzte sich auch, auf seinen Schreibtischstuhl, die einzige Sitzgelegenheit in seinem Zimmer außer dem Bett. Sie sah sich um, was Wolfgang mit jeder Sekunde peinlicher wurde. Aber falls ihr danach war, angewidert die Nase zu rümpfen, beherrschte sie sich jedenfalls hervorragend. »Hier übst du also immer«, stellte sie fest. Es klang beinahe bewundernd. Falls er sich das nicht bloß einbildete.
»Meistens zumindest«, sagte er und wusste nicht, was nun werden sollte. Er sah sie an und konnte kaum glauben, dass dies die Wirklichkeit war, dass sie wirklich hier war und er nicht alles nur träumte.
»Wie schaffst du das eigentlich?«, fragte Svenja und sah ihn mit einem merkwürdigen Blick an. Ihre Augen hatten winzige, silbrige Einsprengsel in der Iris, bemerkte er fasziniert. »Das so konsequent durchzuhalten, meine ich. Über Jahre und Jahre hinweg.«
Es brach geradezu aus ihm heraus. Ehe er wusste, was geschah, redete er schon über das, was seit Tagen in ihm brodelte, über seine Zweifel an seinem Talent, seinen Übe r druss an dem ewigen Üben, über den Druck, unter dem er sich fühlte. Und obwohl er das deutliche Gefühl hatte, dass es verdammt uncool war, ihr das alles vor die Füße zu werfen, konnte er einfach nicht aufhören. Es war, als redete sein Mund von selbst. »Mein Vater denkt, ich sei ein Riesentalent, weißt du, jemand wie Hiruyoki Matsumoto, so ein Wunderkind, das alle die normalen Cellisten in den Schatten stellt, Welttourneen macht und überall gefeiert wird wie sonst was. Und irgendwie hab ich das lange selber gedacht, glaube ich. Nicht so ausg e sprochen, nicht so deutlich, aber ich hatte immer das Gefühl, ich muss das machen, ich muss üben ohne Ende, weil ich es irgendwem schulde – der Welt, meinem Vater, mir selber, diesem unerhörten Talent, das ich da angeblich habe. Aber ich hab es gar nicht. Ich glaub das nicht mehr. Ich kann nicht besser spielen als jeder andere, der vom Kindergarten an jeden Tag stundenlang geübt hat. Klar, ich konnte eher Noten lesen als Buchstaben – na und? Man hat's
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