Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Perfect Copy - Die zweite Schöfung

Perfect Copy - Die zweite Schöfung

Titel: Perfect Copy - Die zweite Schöfung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
Vom Netzwerk:
mir halt früher beig e bracht, das ist alles. Wo ist da das Talent? Ich seh's nicht. Mein Vater bildet sich da was ein. Und, ja – ich frag mich, wozu ich das eigentlich mache. Das Üben und so weiter. Ob ich's nicht besser sein lassen soll.«
    Erschrockene Stille. Wolfgang konnte kaum glauben, was er da eben gesagt hatte. Das Cellospielen aufgeben ? Das hatte er noch nie im Leben auch nur gedacht!
     
    »Macht es dir denn keinen Spaß, zu spielen?«, fragte Svenja stirnrunzelnd.
     
    »Spaß?« Wolfgang stutzte. Was war das denn für eine Frage? »Keine Ahnung.« Spaß? Darüber hatte er noch nie nachgedacht. Und überhaupt, was tat er hier eigentlich? Sülzte sie mit seinen persönlichen Problemen voll, anstatt sich ins Zeug zu legen und sie zu beeindrucken, ihr zu beweisen, dass er ein viel tollerer Typ war als Marco. Das lief schief. Ganz verkehrt lief das. Jetzt konnte er sehen, wie er da wieder rauskam, wie er das wieder geradegebogen bekam…
     
    »Das klingt, als hättest du das alles eigentlich nur deinem Vater zuliebe gemacht«, sagte Svenja. Es tat gut, wie sie ihn ansah dabei, so ernsthaft, als interessiere sie die ganze Sache tatsächlich. Alle Gedanken von gerade eben verflogen wie Rauch.
    »Ja«, sagte er. »Ich glaube, genauso war es.«
     
    »Dass es in Wirklichkeit sein Ehrgeiz ist. Sein Traum.«
     
    »Ich sollte einfach aufhören mit allem.« Er sah das Cello an. Es kam ihm auf einmal wie ein widerlich fremdartiger Gegenstand vor.
    Svenja zog eine skeptische Miene. »Ich weiß nicht. Vielleicht brauchst du bloß mal einen wirklichen Vergleich. Damit sich diese Frage mit dem Talent klärt, weißt du? Du könntest zum Beispiel an einem Wettbewerb teilnehmen. Dich mit anderen messen. Dann siehst du's ja. Oder du fragst jemanden um seine Meinung. Jemand anders als deinen Vater, meine ich.«
    »Mein Cellolehrer sagt bloß, ich soll mir nicht so viele Gedanken machen. Und mehr üben.«
    »Klar, der lebt ja auch davon. So jemand meine ich auch nicht.« Sie sah grübelnd vor sich hin. »Du müsstest jemanden fragen wie – ich weiß nicht – einen Orchesterleiter oder wie das heißt. Jemand, der viele Cellisten hört. Oder überhaupt – es muss doch irgendjemanden geben, der so was wie die höchste Instanz ist. Das gibt es doch in jedem Gebiet. Eine führende Kapazität. Den Obercellisten. Wenn du so jemanden mal fragst, was er von deinem Talent hält?«
    »Hmm«, machte Wolfgang.
    »Weißt du«, sagte sie, »manchmal zweifelt man nämlich auch zu sehr an sich.«
    Wolfgang sagte nichts, nickte nur nachdenklich. Plötzlich herrschte eine eigenartige, verzauberte, atemlose Stille. Wenn es ein Traum gewesen wäre, dann hätte sich Svenja jetzt zu ihm vorgebeugt und ihn geküsst, und Wolfgang hatte das Gefühl, dass er in diesem Moment auch hätte aufstehen und zu ihr hingehen und sie hätte küssen können, doch das traute er sich dann doch nicht. Und so verstrich dieser Augenblick, von dem er sich noch lange fragen sollte, ob er sich das alles nur eingebildet hatte. Irgendwo hupte ein Auto, Svenja sagte »Na ja«, und der Zauber verflog. Sie unterhielten sich noch über dieses und jenes, redeten über aktuelle Filme, ohne dazu zu kommen, einen konkreten gemeinsamen Kinobesuch auszumachen, und irgendwann ging Svenja dann, weil zu Hause noch ein paar Haushaltspflichten auf sie warteten.
    Beinahe hätte er vergessen, den Atelierschlüssel zurückzulegen. Nachdem sie gegangen war, stand er lange in der Diele herum und fühlte sich ganz unbeschreiblich, hätte am liebsten lauthals gesungen, ein jubelndes Lied, wenn er eins gewusst hätte. Svenja war da gewesen. Sie hatte mit Marco Schluss gemacht. Alles war plötzlich möglich!
    Dann hörte er, weit entfernt, das Geräusch des auffahrenden Garagentors, und da fiel es ihm wieder ein, die Hand in die Tasche zu stecken. Seine Eltern kamen zurück! Und er hatte noch den Schlüssel!
    Im nächsten Augenblick raste er schon die Treppe hoch, und im übernächsten zog er die Nachttischschublade seiner Mutter zum zweiten Mal an diesem Tag und in seinem Leben auf, mehr als nur etwas zu heftig, und der Inhalt verrutschte. Als er hastig versuchte, die Taschentuchpäckchen und Babyschuhe und alles andere wieder dorthin zurück zu schieben, wo es vorher gelegen hatte, glitt das Foto unter dem Kram hervor, der es vorher zum größten Teil bedeckt gehabt hatte.
    Er betrachtete es verwundert. Das Bild zeigte ihn in seinem besten weißen Hemd, sein Cello in der Hand haltend.

Weitere Kostenlose Bücher