Perfect Copy - Die zweite Schöfung
Falten. »Na ja«, meinte er, »Professor Tessari von der Staatsoper Berlin nennt man manchmal so. Aber wenn er verkünden sollte, dass der Bogen künftig links gehalten wird, würde trotzdem niemand auf ihn hören. Ich weiß jetzt nicht, was dich an dieser Frage so beschäftigt.«
»Aber wenn dieser Professor Tessari sagt, dass jemand Talent hat, dann hat er wirklich Talent, oder?«
»Oh, Wolfgang!« Herr Jegelin hob in einer fast bühnenreifen Geste die Hände in die Höhe und schlug sie über seinem Kopf zusammen. »Geht es immer noch darum? Ich habe dir doch gesagt, denk an die Musik, nicht an irgendwelche Karrieren.«
»Das ist es ja gerade«, rief Wolfgang. »Ich kann das Cello praktisch nicht anfassen, ohne an irgendwelche Karrieren zu denken. Ich habe das Gefühl, ich spiele überhaupt nur meinem Vater zuliebe. Ich plage mich ab, weil er sich einbildet, dass ich ein Riesentalent bin.
Aber ich glaube, das bin ich einfach nicht. Und wozu soll ich mich abplagen, wenn es schließlich doch zu nichts führt?«
Herr Jegelin nahm mit einer ruppigen Bewegung das Notenbuch vom Ständer, blätterte unwirsch darin umher, schnaubende Laute durch die Nase ausstoßend, um es schließlich auf genau derselben Seite aufgeschlagen zurückzustellen. »Schluss mit der Diskussion«, sagte er. »Du kommst hierher, um zu spielen. Wenn du nicht mehr spielen willst, dann komm nicht mehr. So. Und jetzt noch mal ab Takt zehn.«
Als die Stunde endlich um war und Wolfgang befreit von dannen zog, sah ihm Herr Jegelin – was er noch nie zuvor getan hatte – vom Flurfenster aus nach. Er achtete sorgfältig darauf, hinter der Gardine verborgen zu bleiben, und stellte fest, dass es sich genauso verhielt, wie er es vermutet hatte: Als Wolfgang auf die Straße trat, wartete dort ein schlankes, blondes Mädchen mit einem Fahrrad auf ihn. Der Musiklehrer beobachtete, wie die beiden miteinander sprachen – sehr vertraut; zwar küssten sie einander nicht gerade, aber dass da nicht einfach zwei Klassenkameraden standen und über Hausaufgaben plauderten, war unübersehbar. Er wartete, bis sie sich die Straße entlang in Bewegung setzten, dann ging er zum Telefon.
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Wolfgang musste den Cellokoffer absetzen, so platt war er. »Wo kommst du denn her?«
»Mein Geheimnis«, sagte Svenja mit herausforderndem Grinsen.
»Gib's zu. Du lässt mich von einem Detektiv überwachen.«
»Das hättest du wohl gern.«
»Aber wie hast du gewusst, dass ich heute Cellounterricht habe? Ich hab's doch selber erst beim Mittagessen erfahren.«
»Ich bin eben ziemlich schlau.« Es war offensichtlich, dass sie nichts zu verraten gedachte.
Wolfgang gab seufzend auf und schulterte den Trageriemen des Cellokoffers wieder. »Sieht ganz so aus«, gab er zu. »Jedenfalls eine nette Überraschung.«
Das schien sie zu freuen. »Ehrlich?«
»Ja, klar. Nachdem ich dich heute Morgen nicht…«
Er brach ab. War das jetzt gut, zuzugeben, dass er nach ihr Ausschau gehalten hatte? Außerdem war das so eine Frage, die vielleicht viel zu anmaßend klang, so, als stünde schon fest, dass sie miteinander gingen oder so was. Er räusperte sich. »Wie war denn euer Aufsatz?«
»Na ja. Wie Aufsätze eben so sind. Nicht mein Lieblingsfach.«
Auch nicht so genial, wie es aussah. Er überlegte fieberhaft. Zum Verrücktwerden! Die ganze Zeit hatte er nur an Svenja gedacht und was er ihr alles sagen wollte, und nun fiel ihm nichts davon ein. Selbst während des Cellounterrichts hatte er…
Halt mal! Idee! »Ich habe übrigens«, sagte Wolfgang so locker, wie er es nur fertig brachte, »noch mal nachgedacht über das, was du gesagt hast.«
»Ah? Was hab ich denn gesagt?«
»Na, das mit dem Cello. Dass ich mal an einem Wettbewerb teilnehmen oder jedenfalls eine andere Meinung einholen soll.«
Sie machte große Augen. Wunderbare große meerwasserblaugrüne Augen. »Und?«
Wolfgang hatte plötzlich das Gefühl, dass es nicht gut war, allzu lange hier vor Herrn Jegelins Haus herumzustehen und über derlei Dinge zu reden. Er setzte sich in Bewegung, und Svenja schob ihr Rad neben ihm her. Blöd, dass sie das dabeihatte, musste Wolfgang denken. Wenn sie beide jetzt einfach so nebeneinander herspaziert wären, hätte es passieren können, dass ihre Hände einander sozusagen zufällig berührten. Rein zufällig, natürlich, aber man hätte ja ein bisschen nachhelfen können. Hätte vielleicht sogar nach ihrer Hand greifen können…
»Ich hab meinen Cellolehrer gefragt. Es
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