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Perfect Copy - Die zweite Schöfung

Perfect Copy - Die zweite Schöfung

Titel: Perfect Copy - Die zweite Schöfung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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geistesabwesend sind. »Allerdings habe ich keinen Bruder. Leider.«
    Eine wegwischende Handbewegung war die Antwort. »Aber doch, natürlich. Johannes Dorn. So ein überaus begabter junger Cellist; ich erinnere mich an ihn, als ob es erst gestern gewesen wäre. Johannes Dorn, so war der Name. Es muss dein Bruder gewesen sein. Du bist ihm ja wie aus dem Gesicht geschnitten.«
    Wolfgang fühlte plötzlich nicht mehr Blut durch seine Adern fließen, sondern etwas Eiskaltes, Furchtbares.
    »Das kann nicht sein«, flüsterten seine Lippen.
    »Er heißt Wedeberg, Herr Professor«, sagte Svenja, ahnungslos, wie sie war.
    »Dorn ist der Mädchenname meiner Mutter«, hörte Wolfgang sich sagen, mit jedem Wort mehr ergriffen von einem Entsetzen, das wie ein schwarzer Schatten rings um ihn aufstieg. »Sie war früher Sängerin in Berlin.«
    »Ja, ich erinnere mich«, nickte der Professor. »Julia Dorn, nicht wahr?«
    »Ja«, sagte Wolfgang. »Julia Dorn.« Plötzlich, endlich, begriff er alles, fügten sich alle Teile des Puzzles zu einem Bild, doch es war ein ungeheuerliches Bild, eines, das anzusehen fast mehr war, als er ertragen konnte. Er sah Svenja an, sah in ihre Augen und in einen Abgrund jähen Begreifens. »Verstehst du?«, fragte er.
    »Nein«, schüttelte sie den Kopf. Wollte es nicht wahrhaben.
    »Ich bin der Klon meines Bruders«, sagte er also. »So muss es gewesen sein. Johannes Dorn muss mein Bruder gewesen sein. Meine Eltern haben mir nie gesagt, dass sie schon einmal einen Sohn hatten. Weil ich dessen Klon bin. Es ist tatsächlich wahr. Ich bin der Klon eines Bruders, von dem ich nie etwas gewusst habe.«
    Der Mann auf dem Foto, er hatte ihn gefunden. Es war Professor Tessari.
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    Kapitel 14
     
    Nachdem Wolfgang alles erzählt hatte, was es zu erzählen gab, war es still. Es war, als sei die Welt außerhalb dieses Raumes verschwunden, und auch dessen dunkle Wände begannen, unwirklich zu werden. Es war, als existiere vom ganzen Universum nur noch diese kleine helle Insel, die drei Stühle, auf denen sie saßen, der Notenständer mit seinem kleinen gelblichen Strahler, der einen schimmernden Lichtkreis um sie zog, und das Cello. Es war wie das Ende der Welt.
     
    Irgendwann, hundert Millionen Jahre später, so schien es Wolfgang, räusperte sich der Professor.
    »Ich verstehe nichts von diesen Dingen – Gentechnik, Klonen und so weiter«, sagte er bedächtig. »Ich verstehe nur etwas vom Cello. Und ich verstehe etwas von Talent. Dein Bruder Johannes war ein großes Talent, ein wirklich außerordentlich großes Talent. Er hätte das Zeug gehabt, einer der großen Cellisten dieses Jahrhunderts zu werden. Wenn er es gewollt hätte. Ich glaube, sein Unglück war, dass er so sehr gedrängt wurde. Als er zu mir kam, liebte er das Cello nicht mehr, im Gegenteil, er hasste es.«
    »Wie ist er gestorben?«, fragte Wolfgang flüsternd.
    Die weißen Augenbrauen des Professors hoben sich, formten sich zu einem Gesichtsausdruck großer Betrübnis. »Ach, eine tragische Geschichte. Ein Badeunfall, soweit ich weiß, während eines Sommerurlaubs. Johannes ist ertrunken, mit gerade mal sechzehn Jahren. Danach sind seine Eltern weggezogen aus Berlin. Ich habe nichts mehr von ihnen gehört.«
    Wolfgang starrte blicklos ins Halbdunkel. »Sie sind nie mit mir in Urlaub gefahren«, murmelte er. Jetzt verstand er, warum.
    Professor Tessari wirkte gleichfalls, als schaue er zurück in eine lange vergangene Zeit. »Ich habe oft über ihn nachdenken müssen. Mir kam dieser Tod immer vor wie eine Flucht aus einem unerträglich gewordenen Leben. Wisst ihr, Johannes war jemand, den es mit aller Macht hinauszog in die Welt. Reiseschriftsteller wollte er werden, hat er mir einmal anvertraut, oder, fast lieber noch, Entwicklungshelfer. Nachmittags mit seinem Cello im Zimmer zu sitzen und zu üben war wie Gefängnis für ihn. Sein Vater hat sein Talent erkannt und gefördert, oft unter hohem persönlichen Einsatz, das muss man sagen. Aber im Nachhinein betrachtet war es, fürchte ich, zu viel des Guten. Die beiden lagen immer im Streit, furchtbar. Manchmal, wenn ich etwas davon mitbekam, hatte ich das Gefühl, dass sie sich eines Tages gegenseitig an die Gurgel gehen.« Er schüttelte den Kopf und blinzelte, wie um die Erinnerungen abzuschütteln. »Tragisch, das alles.«
    »Und als Johannes tot war, hat mein Vater ihn geklont, um es noch einmal zu probieren.« Wolfgang betrachtete seine Hände, als gehörten sie ihm nicht.

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