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Perfect Copy - Die zweite Schöfung

Perfect Copy - Die zweite Schöfung

Titel: Perfect Copy - Die zweite Schöfung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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»Hat es wenigstens etwas genützt?«
    »Dazu müsste ich dich spielen hören«, sagte der Professor. Er seufzte. »Was ich unter diesen Umständen kaum von dir verlangen kann.«
    »Ich würde es trotzdem gern versuchen«, beharrte Wolfgang. Er musste an die rote Kassette denken, auf der nur der Buchstabe J gestanden hatte. J wie Johannes. Er hatte also damals seinen Bruder spielen hören, nicht sich selbst. »Wenn wir schon dabei sind, die Wahrheit herauszufinden, möchte ich das auch noch wissen.«
    Professor Tessari neigte den Kopf zur Seite. »Wie du meinst. Versuchen wir es.«
    Wolfgang legte die Noten der Solo-Suiten von Johann Sebastian Bach auf, nahm das Cello auf, setzte den Bogen an, wartete auf ein aufmunterndes Nicken des Gelehrten zu beginnen, holte tief Luft – und spielte. So gut wie noch nie im Leben. Seine Finger trafen die Saiten an genau den richtigen Stellen, in jeweils dem genau richtigen Moment, und auch der Bogen bewegte sich wie von selbst, mit genau dem richtigen Druck, in genau dem richtigen Tempo. Alles geschah, als handle sein Körper selbstständig, ohne sein Zutun. Wolfgang hatte die ganze Zeit das eigenartige Gefühl, sich selber zuzusehen und zuzuhören und überhaupt nicht anwesend zu sein dabei.
     
    Als er fertig war und innehielt, während der letzte Ton im Raum verhallte, sah er, dass Svenja große Augen machte. Das war es, dachte er. Besser kann ich es nicht. Professor Tessari sah vor sich hin und neigte den Kopf dabei leicht von der einen zur anderen Seite, als seien alle Töne, die Wolfgang gespielt hatte, noch darin, und als müsse er sie sich alle noch einmal vergegenwärtigen.
     
    »Darf ich dir eine Frage stellen?«, sagte er schließlich, nach einer fast unerträglich langen Pause.
    »Klar.«
    »Hast du jemals freiwillig Cello gespielt? Einfach aus Lust an seinem Klang, meine ich, oder aus Freude an der Bewegung des Bogens?«
    Wolfgang blinzelte verblüfft. »Sie meinen, ob ich schon mal eine Stunde extra drangehängt habe, um eine besonders schwierige Passage zu üben?«
     
    »Nein, das eben nicht. Ich würde gern wissen, ob du dir das Instrument manchmal vornimmst und spielst, einfach um es zu hören. Oder um die Saiten unter den Fingern zu spüren. Um es zu riechen, meinetwegen. Mich interessiert, ob du etwas für dein Cello empfindest, das dem Gefühl ähnelt, das du deiner Freundin entgegenbringst.« Er warf Svenja einen Blick zu, der um Entschuldigung für diesen Vergleich bat. »Ob du dich zu ihm hingezogen fühlst.«
     
    »Nein.« Wolfgang schüttelte befremdet den Kopf. »Ganz bestimmt nicht.«
    »Siehst du, aber darauf kommt es an.« Professor Tessari beugte sich vor, schwer auf seinen Stock gestützt.
     
    »Du hast viel geübt, das ist nicht zu überhören. Du hattest gute Lehrer, ohne Frage. Du hast darüber hinaus die richtigen körperlichen Voraussetzungen – die notwendige Kraft und Elastizität der Finger, das motorische Geschick, das tonale Gehör und so weiter. Wenn das alles stimmt, was du erzählt hast, und ich das, was ich über das Klonen weiß, richtig ve r stehe, dann ist durchaus vorstellbar, dass du diese Aspekte der Musikalität von deinem Bruder sozusagen geerbt hast. Aber nachdem ich dich jetzt spielen gehört habe, neige ich zu der Auffassung, dass Talent – wirkliches Talent – mehr sein muss als eine bestimmte Konstellation von Genen.« Er hielt inne, sah Wolfgang forschend an. »Geht es dir immer noch um die Wahrheit? Auch wenn sie nicht schmeichelhaft ist?«
     
    Wolfgang nickte gefasst und mit einem seltsam leichten Gefühl in seiner Brust, ahnend, was kommen würde. »Ja.«
    »Johannes hasste das Cello, aber wo Hass ist, war auch einmal Liebe. Und zumindest empfand er etwas für sein Instrument. Wenn man dir zuhört, bleibt alles kühl und leer in einem. Es springt kein Funke über. Man empfindet keine Begeisterung – weil du selber keine empfindest. Du spielst die Töne, nahezu vollkommen, aber du bist nicht beteiligt. Und darum ist es der Zuhörer auch nicht. Man hat den Eindruck, du spielst nicht, du arbeitest. Man sieht dir beim Arbeiten zu. Und wer will das?« Der Professor sah sie beide ernst an. »Ich habe mich mein Leben lang mit der Frage beschäftigt, was das eigentlich ist – Talent. Genie. Ich glaube heute, dass das, was wir landläufig als Genialität bezeichnen, im tiefsten Grunde vor allem eines ist, nämlich die Bereitschaft, sich mit einer Sache unbegrenzt viel Mühe zu geben. Und diese Bereitschaft, das ist

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