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Perfect Copy - Die zweite Schöfung

Perfect Copy - Die zweite Schöfung

Titel: Perfect Copy - Die zweite Schöfung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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der springende Punkt, muss von innen heraus kommen, aus einem selbst. Und dazu ist etwas nötig, das man heutzutage zu gern außer Acht lässt, weil man es ärgerlicherweise weder berechnen noch digitalisieren kann – dabei ist es das Wichtigste, das es gibt, und im Grunde unseres Herzens wissen wir das. Liebe. Wenn man mit etwas, das man tut, Außerordentliches vollbringen will, muss man es zutiefst lieben. Anders geht es nicht.«
    Wolfgang legte das Cello beiseite, den Bogen darauf, und wusste plötzlich, dass er nie wieder zu Herrn Jegelin gehen würde. Dass es vorüber war. Trotzdem fragte er: »Raten Sie mir also, das Cellospielen aufzugeben?«
    »Diese Entscheidung musst du selber treffen. Aber wenn es dir keine Freude bereitet zu spielen, sehe ich keinen Sinn darin«, meinte der alte Mann. »Wohlgemerkt, deine technischen Fertigkeiten sind gut. Du könntest zweifellos dein Auskommen etwa als Orchestermusiker finden. Aber ich glaube nicht, dass du auf diesem Weg glücklich werden würdest. Du hast vielleicht den Körper deines Bruders, ich weiß es nicht, trotzdem bist du ein anderer Mensch. Ich kann es hören. Da spielt nicht Johannes Dorn, wenn du spielst.«
    #
     
    So still war es in der Küche der Francks wahrscheinlich noch nie gewesen. Sie saßen reglos um den großen, blank gescheuerten Tisch, selbst die kleinen Kinder, von denen eines flüsternd wissen wollte, ob jemand gestorben sei. Sogar die Hunde schienen zu spüren, dass Ausgelassenheit unerwünscht war; sie hatten sich auf ihre Decken in der Ecke zurückgezogen und lagen da, wedelten mit den Schwänzen und beobachteten aus weiten, dunklen Augen, was am Tisch geschah.
     
    »Also, das ist die unglaublichste Geschichte, die ich je gehört habe«, meinte Irenas Mann irgendwann. Er hatte auf ihren Anruf hin in seiner Firma alles liegen und stehen lassen und war gekommen. »Wirklich wahr.«
    Aber niemand sagte etwas darauf, und so kehrte wieder Stille ein. Durch die Fenster und das Oberlicht leuchtete ein strahlend blauer Himmel auf sie herab. Draußen auf dem Dachgarten stritten zwei Krähen um ein paar Brotkrumen.
    »Will jemand etwas trinken?«, fragte Irena.
    Niemand wollte.
    Der Kühlschrank summte kaum hörbar, hatte eigentlich die ganze Zeit gesummt und hörte plötzlich damit auf, mit einem leisen, scheppernden Geräusch. In der Ferne hupte ein Auto mehrmals ungeduldig.
    Wolfgang hatte seine Hände flach vor sich auf der Tischplatte liegen, betrachtete die Schatten, die die Finger warfen, und die Winkel, die sie zueinander bildeten. Seine Hände. Johannes' Hände. »Herr Franck?«, sagte er in die Stille hinein, und es war gut, dass es still war, denn lauter hätte er es nicht sagen können und auch kein zweites Mal.
    »Ja, Wolfgang?«
    »Kann ich Sie um etwas bitten?«
    »Klar.«
    »Würden Sie die Polizei anrufen?«
    Einige Zeit später klingelte es unten. Leo Franck sagte zu seiner ältesten Tochter: »Rebekka, machst du den Polizisten bitte die Tür auf?«
    »Ja, Papa.« Das Mädchen rutschte vom Stuhl und eilte hinaus, gefolgt von einem der Hunde, der vermutlich auf ein lustiges Spiel hoffte.
    Aber es wurde kein lustiges Spiel. Man hörte erregte Stimmen, Geschrei von unten, der Hund bellte, die Tür knallte, und Rebekka kreischte: »Hilfe! Papa! Zu Hilfe!«
    Mit einem Mal war Tumult. Leo Franck sprang auf, schrie: »Was ist da los?!« und stürzte aus der Küche, gefolgt von seinem anderen Hund und den beiden Jungs, die das »Dirk! Jens! Bleibt hier!« ihrer Mutter einfach ignorierten. Man hörte Männer, die sich anschrien, dann schwere Schritte, die die Treppe hochgestürmt kamen.
    Es waren keine Polizisten. Es waren Wolfgangs Eltern.
     
    Vater kam in die Küche gestapft, warf einen lodernden Blick in die Runde und donnerte: »Hier bist du also?!« Hinter ihm kam Mutter, leichenblass im Gesicht, und Leo mit den Kindern und den Hunden, und als der etwas sagen wollte, richtete Dr. Richard Wedeberg den ausgestreckten Arm wie eine Waffe auf ihn und herrschte ihn an: »Mit Ihnen rechne ich später ab, Herr Franck! Und das wird nicht gemütlich, das sage ich Ihnen gleich.« Der Arm schwenkte herum wie der Lauf einer Panzerkanone und fasste Wolfgang ins Visier. »Und jetzt ist Schluss hier. Wolfgang, du packst dein Cello und deine Sachen und kommst auf der Stelle mit!«
     
    Jeder im Raum war zusammengezuckt, nur Wolfgang blieb sitzen wie aus Stein gemeißelt. Er sah seine Eltern an, als sei er durch ein unerklärtes Mysterium plötzlich der

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