Perfect Copy - Die zweite Schöfung
betrachtete er die Uhr an der Wand. »Man könnte die Rektorin anrufen. Die Elternsprecher. Oder…«
»Aber nicht mehr heute, Richard«, sagte seine Frau und stand auf.
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Am nächsten Morgen wurde Wolfgang das Gefühl nicht los, alles nur zu träumen. Sie saßen an diesem riesigen runden Küchentisch aus hellem Holz, in dieser lichtdurchfluteten, weiten Küche, durch deren Fenster der Blick auf einen Dachgarten voller Grün und dahinter über dieses unglaubliche Häusermeer ging, hatten ein Gebirge aus Milchflaschen, Müslischachteln, Körben mit Brötchen oder Obst und zwei Dutzend verschiedener Gläser mit Marmelade, Honig und anderen Brotaufstrichen vor sich, dazu Wurst und Käse und Orangensaft und Kräuterquark und überhaupt alles, was auf einem Frühstückstisch nur denkbar war, futterten voller Behagen, lachend und schwatzend, und ringsum tobte das Leben, stritten die beiden Ältesten, krakeelte das jüngste Kind der Francks, balgten sich die Hunde um einen zernagten Ball. Wenn es einen Himmel gab, konnte er sich von diesem wunderbaren Morgen nur noch in Nuancen unterscheiden.
»Dein Termin ist um zwei Uhr«, sagte Irena, schaute aber zur Sicherheit noch einmal auf den Terminkalender, der neben dem Telefon an der Wand hing. »Richtig, um zwei. Und du sollst ein bisschen eher da sein, hat die Sekretärin gemeint.«
»Mmmh«, nickte Wolfgang mit vollem Mund. Als er den Bissen unten hatte, fügte er hinzu: »Damit sich das Cello an den Raum anpasst. Und dann muss ich es noch stimmen.«
Leo sah auf die Uhr. »Ich muss los.« Er stand auf, stürzte im Stehen den letzten Schluck Kaffee hinab.
»Falls sie ihn gleich für das Orchester engagieren, ruf mich im Büro an«, schärfte er seiner Frau ein. »Dann besorge ich Champagner.«
»Mach ich«, versprach Irena und gab dem größeren der beiden Hunde, der vorwitzig etwas vom Tisch wegschnappen wollte, einen Klaps aufs Maul. »Für Champagner tu ich doch fast alles. Was soll das?«, fauchte sie den Hund an, als der es noch mal probierte. Wolfgang musste an zu Hause denken, an das stille, düstere Haus, das unendlich weit weg zu sein schien und ihm aus dieser Distanz wie ein trostloses Gefängnis vorkam. »Vielleicht fragen sie mich auch nur, ob ich das Cello nicht an jemanden verkaufen will, der wirklich etwas damit anfangen kann«, unkte er.
»Hört ihn euch an«, grinste Svenja. »Plötzlich macht er sich Sorgen, dass der Cello-Papst nicht genauso begeistert von ihm sein könnte wie sein Vater.« Sie knuffte ihn in die Seite. »Ich dachte, du wolltest da hingehen, um die Wahrheit zu erfahren? Dann wirst du sie auch verkraften müssen, schätze ich.«
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Frau Horn, die Rektorin, war zu Hause und beim Frühstück, als Dr. Wedeberg vor der Tür stand. Sie bat ihn trotzdem herein. An einem Tisch unter einer Sammlung handgeschnitzter afrikanischer Masken hörte sie sich an, was Wolfgangs Vater ihr zu sagen hatte, dann faltete sie die Hände und sah ihn nachdenklich an.
»Es wundert mich, dass Sie mich das fragen müssen«, gestand sie. »Dass Sie nicht wissen, wie die Freundin Ihres Sohnes heißt.«
Dr. Wedeberg nickte zögernd. »Nun ja. Es gab Streit deswegen. Ich kenne das Mädchen nicht.«
»Darf ich fragen, was der Anlass des Streits war?«
»Was in solchen Fällen der Anlass ist. Wolfgang fing an, seine schulischen Pflichten zu vernachlässigen.«
»Falls Sie wissen wollen, wie sich das auf seine Noten auswirkt, müsste ich Sie bitten, in meine offizielle Sprechstunde zu kommen.«
»Es ging vor allem um seinen Cello-Unterricht.«
»Ach ja, richtig. Er spielt Cello.« Die Rektorin nickte dünnlippig. »Es hat mich immer gewundert, dass er nicht dem Schulorchester beitritt.«
»Dafür gibt es Gründe«, meinte ihr Besucher nur. Einen Moment lang sagte niemand etwas. Frau Horn schien zu warten, dass er weitersprach. »Wie gesagt«, fuhr er schließlich fort, »ich glaube, dass er mit diesem Mädchen… nun ja, durchgebrannt ist. Und um der Sache nachgehen zu können, bitte ich Sie, mir ihren Nachnamen zu nennen.«
»Ich kann Sie beruhigen. Der Sexualkundeunterricht an meiner Schule ist gründlich, an der heutigen Lebenswirklichkeit orientiert und erzieht die jungen Leute zu Verantwortlichkeit. Seit ich Rektorin bin, hat es keinen einzigen Fall einer ungewollten Schwangerschaft am Gymnasium Schirntal gegeben, von Schlimmerem ganz zu schweigen.«
Dr. Wedeberg kniff die Augen zusammen. »Darum geht es doch überhaupt nicht. Es geht
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