Perfekt
seiner Seite. »Ich habe gehört, daß eine Menge Leute tatsächlich unschuldig ins Gefängnis kommen. Sind Sie unschuldig?«
»Jeder Verurteilte sagt, er sei unschuldig.«
»Ja, aber sind Sie es?« Sie beharrte schon deshalb so hartnäckig auf ihrer Frage, weil sie verzweifelt hoffte, er werde ihr durch seine bejahende Antwort die Möglichkeit geben, ihm vorzuspielen, daß sie ihm glaube.
»Die Geschworenen haben mich schuldig gesprochen.«
»Geschworene haben sich schon öfter geirrt.«
»Zwölf ehrenwerte, rechtschaffene Bürger«, antwortete er mit einer Stimme, aus der plötzlich eisige Verachtung sprach, »haben entschieden, daß ich schuldig bin.«
»Ich bin überzeugt, sie haben sich bemüht, objektiv zu sein.«
»Einen Dreck haben sie!« stieß er so wütend hervor, daß Julies Hände sich in einem neuen Anfall panischer Angst um das Lenkrad verkrampften. »Sie haben mich des Reich- und Berühmtseins schuldig gesprochen!« schrie er. »Ich habe ihre Gesichter während des ganzen Prozesses genau beobachtet, und je mehr der Staatsanwalt über meinen privilegierten Lebensstil hergezogen ist und die Amoralität und Sittenlosigkeit Hollywoods angeprangert hat, desto mehr wollten mir die Geschworenen an die Gurgel! Der ganze verdammte, vereidigte, gottesfürchtige Haufen wußte, daß »berechtigte Zweifel< an meiner Schuld bestanden, und deshalb haben sie auch nicht für die Todesstrafe plädiert. Die Bande hat wohl zu viel Perry Mason gesehen - sie dachten wohl allen Ernstes, wenn ich den Mord nicht begangen habe, müßte ich in der Lage sein, den wahren Schuldigen zu nennen.«
Soviel Wut und Zorn sprachen aus seiner Stimme, daß Julie vor Angst feuchte Hände bekam. Ihr wurde immer klarer, wie wichtig es war, ihn zu der Annahme zu bringen, daß sie auf seiner Seite sei. »Aber Sie haben den Mord doch nicht begangen, oder? Sie konnten eben nicht beweisen, wer Ihre Frau tatsächlich umgebracht hat. So war es doch, oder?« hakte sie mit bebender Stimme nach.
»Wen interessiert das?« fauchte er.
»M-mich interessiert es.«
Einen Augenblick lang betrachtete er sie in eisigem Schweigen, dann veränderte seine Stimme sich abrupt und wurde auf eine bezwingende Art und Weise sanft: »Wenn es Sie wirklich interessiert - nein, ich habe sie nicht umgebracht.«
Er log. Natürlich. Er mußte einfach lügen. »Ich glaube Ihnen.« Um ihn noch weiter davon zu überzeugen, daß sie zu ihm hielt, fügte sie hinzu: »Und wenn Sie unschuldig sind, dann haben Sie auch das Recht, aus dem Gefängnis auszubrechen.«
Seine Antwort bestand aus einem ungemütlich langen Schweigen, währenddessen sie seinen durchdringenden Blick auf ihrem Gesicht fühlte. Dann sagte er abrupt: »Dem Schild nach ist da vorne ein Telefon. Fahren Sie hin, wenn Sie es sehen.«
»In Ordnung.«
Die Telefonzelle stand nicht weit vom Straßenrand, und Julie bog in die Zufahrt ab. In der Hoffnung, einen Lastwagen- oder Autofahrer zu sehen, dem sie ein Zeichen geben könnte, behielt sie den Außenspiegel im Auge, doch die verschneite Straße war kaum befahren. Seine Stimme ließ sie im selben Moment herumfahren, in dem er die Autoschlüssel aus dem Zündschloß zog. »Ich hoffe nicht«, sagte er ironisch, »daß Sie glauben, ich würde anzweifeln, daß Sie mich für unschuldig halten und meine Flucht unterstützen wollen. Ich nehme die Schlüssel nur aus dem Grund mit, weil ich von Natur aus sehr vorsichtig bin.«
Julie war selbst überrascht, daß sie es fertigbrachte, den Kopf zu schütteln und überzeugend zu sagen: »Ich mache Ihnen keinen Vorwurf daraus.« Er schenkte ihr ein kurzes Lächeln und stieg aus, behielt aber als drohende Geste seine Hand in der Tasche mit der Waffe und ließ die Beifahrertür offenstehen - zweifelsohne, um sie besser im Auge behalten zu können, während er telefonierte. Julie sah keine Möglichkeit, ihm hier und jetzt zu entkommen, wollte die Chance jedoch anderswie nützen. Als er ausstieg, fragte sie mit aller Sanftmut, derer sie fähig war: »Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich mir Papier und Bleistift aus meiner Tasche hole, damit ich mir ein paar Notizen machen kann, solange Sie telefonieren? Sie wissen schon, ein paar Stichworte aufschreiben, über Gefühle und so, was ich dann für mein Buch verwenden kann?« Bevor er ablehnen konnte, was er, das merkte sie, eigentlich vorhatte, griff sie vorsichtig nach ihrer Handtasche, die auf dem Rücksitz lag, und zählte währenddessen weitere Gründe dafür auf, warum
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