Perfekt
er ihre Bitte nicht abschlagen solle. »Schreiben beruhigt meine Nerven«, sagte sie, »und Sie können meine Handtasche gerne durchsuchen. Ich habe weder Ersatzschlüssel noch eine Waffe dabei.« Zum Beweis öffnete sie die Tasche und hielt sie ihm hin. Er nahm sie und warf einen kurzen, unaufmerksamen Blick hinein, der ihr das Gefühl gab, er nehme ihr die Geschichte mit ihrem Roman nicht eine Sekunde lang ab, spiele aber mit, um sie möglichst bei Laune zu halten.
»Also gut«, sagte er und gab ihr die Tasche zurück.
Sobald er sich abgewandt hatte, zog Julie ein kleines Notizbuch und einen Stift heraus. Während sie ihn im Auge behielt und zusah, wie er den Hörer abhob und Münzen in den Fernsprecher warf, beschrieb sie drei verschiedene Zettel mit derselben Nachricht: POLIZEI BENACHRICHTIGEN. BIN ENTFÜHRT WORDEN. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, daß er sie beobachtete, und wartete, bis er sich einen Moment wegdrehte, um sich auf sein Telefonat zu konzentrieren. Dann riß sie die ersten drei Blätter heraus, faltete sie einmal und steckte sie in ein Außenfach ihrer Handtasche, wo sie sie leicht erreichen konnte. Sie öffnete das Notizbuch wieder und starrte darauf, während ihr Gehirn fieberhaft arbeitete, um Mittel und Wege zu finden, diese Nachrichten an jemand weiterzuleiten, der ihr helfen konnte. Eine Idee kam ihr - sie kontrollierte kurz, ob er auch wegsah, dann nahm sie rasch einen der Zettel aus ihrer Tasche und faltete ihn in eine Zehn-Dollar-Note in ihrem Geldbeutel.
Sie hatte einen Plan, sie war dabei, ihn auszuführen, und das Bewußtsein, daß sie jetzt endlich etwas unternehmen konnte, vertrieb ihre panische Angst weitgehend. Daß sie überhaupt wesentlich ruhiger war, hatte aber noch einen anderen Grund. Sie verdankte sie der instinktiven, aber felsenfesten Überzeugung, daß Zachary Benedict in einem die Wahrheit gesagt hatte: daß er nicht wolle, daß ihr etwas zustoße. Er würde sie nicht kaltblütig niederknallen. Eigentlich war sie sogar sicher, daß er sie, sollte sie jetzt einen Fluchtversuch unternehmen, zwar verfolgen, aber deshalb noch lange nicht erschießen würde - es sei denn, er beobachtete, wie sie ein anderes Auto anhielt. Da keine anderen Autos in Sicht waren, erschien es Julie wenig sinnvoll, jetzt wegzulaufen - da er schneller war als sie und sie leicht einholen würde, gewänne sie dadurch nichts, außer daß er von da an ständig auf der Hut wäre. Wesentlich besser, sie gab sich den Anschein, mit ihm zu kooperieren, ihn in Sicherheit zu wiegen, eine entspannte Atmosphäre zu schaffen und sein Mißtrauen abzubauen. Zachary Benedict mochte ein Ex-Sträfling sein, doch war das noch lange kein Grund, sich so furchtsam zu verhalten, wie sie es bisher getan hatte. Früher war sie ja auch fähig gewesen, sich allein durchzuschlagen, ermahnte sie sich. Während er das luxuriöse Leben eines Filmstars und Teenageridols geführt hatte, mußte Julie lügen, stehlen und auf der Straße überleben! Wenn sie sich voll und ganz konzentrierte, würde sie in der Lage sein, sich gegen ihn zu behaupten, dessen war sie sich sicher! Nun ja, fast sicher. Solange sie einen kühlen Kopf bewahrte, standen ihre Chancen, diesen Intelligenzwettkampf zu gewinnen, gar nicht schlecht. Ihr Notizbuch zur Hand nehmend, begann sie, einige zuckersüße Bemerkungen über ihren Entführer aufzuschreiben, für den Fall, daß er nachfragte, was sie sich notiert habe. Zum Schluß las sie ihren absurden Kommentar noch einmal durch: »Zachary Benedict befindet sich auf der Flucht aus dem Gefängnis.
Ein voreingenommenes Geschworenengericht hat ihn zu einer ungerechten Haftstrafe verurteilt.
Er scheint ein intelligenter, freundlicher, warmherziger Mann zu sein - ein Opfer unglücklicher Umstände. Ich glaube ihm.«
Dieser Kommentar, so entschied Julie mit einem halbherzigen Grinsen, war wohl der schlechteste - frei erfundene -Prosatext, der je geschrieben wurde. Sie war so in ihre Gedanken vertieft, daß sie nur kurz erschrak, als er, das Telefonat offensichtlich beendet, zurück in den Wagen stieg. Rasch schloß sie das Notizbuch, steckte es in die Handtasche und fragte höflich: »War Ihr Telefonat erfolgreich?«
Seine Augen verengten sich zu einem schmalen Schlitz, als er ihr Lächeln sah, und sie hatte das ungute Gefühl, ihre Darbietung leicht übertrieben zu haben. »Nein. Er hält sich dort noch auf, ist aber momentan nicht auf seinem Zimmer. Ich werde es in einer halben Stunde oder so noch mal
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