Perfekt
Heldin würde genau das Gegenteil tun; sie würde zum Schein auf alles eingehen, darauf hinarbeiten, Benedicts Mißtrauen nach Möglichkeit zu besänftigen, und dann im passenden Moment einen Fluchtversuch wagen. Auch die Chancen, ihn auf diese Art wieder hinter Schloß und Riegel zu bringen, wo er hingehörte, waren so wesentlich größer. Um dieses Ziel zu erreichen, mußte sie versuchen ihm einzureden, daß sie diesen Alptraum allmählich als Abenteuer anzusehen begann. Vielleicht würde es ihr sogar gelingen, ihn in der Hoffnung zu wiegen, daß sie auf seiner Seite sei. Sie konnte es jedenfalls probieren.
Trotz heftiger Zweifel, was den erfolgreichen Ausgang ihres Unterfangens anging, durchströmte Julie auf einmal ein Gefühl der Ruhe und Entschlossenheit, das ihre Furcht eindämmte und ihr damit auch einen klareren Kopf verschaffte. Um ihn nicht durch einen allzu plötzlichen Gesinnungswandel mißtrauisch zu machen, wartete sie noch einige Minuten, bevor sie tief Luft holte und ihrer Stimme einen reuevollen Unterton zu geben versuchte: »Mr. Benedict«, begann sie und schaffte es tatsächlich, ein wenig zu lächeln, »ich weiß zu schätzen, was Sie gesagt haben - daß Sie nicht möchten, daß mir etwas zustößt und so weiter. Ich wollte nicht sarkastisch klingen. Ich hatte einfach Angst. Das ist alles.«
»Und jetzt haben Sie keine Angst mehr?« konterte er, und aus seiner Stimme war deutliche Skepsis herauszuhören.
»Nun, doch«, beeilte Julie sich ihm zu versichern. »Aber längst nicht mehr so schlimm. Das wollte ich damit sagen.«
»Darf ich fragen, was diesen plötzlichen Stimmungsumschwung verursacht hat? Worüber haben Sie nachgedacht, als Sie so schweigsam waren?«
»Über ein Buch«, sagte sie, weil sie diese Antwort für ungefährlich hielt. »Einen Krimi.«
»Einen, den Sie gelesen haben? Oder einen, den Sie schreiben wollen?«
Ihr Mund öffnete sich, aber es kamen keine Worte heraus, und dann wurde ihr klar, daß er ihr ungewollt ein perfektes Argument in die Hände gespielt hatte.
»Ich wollte schon immer einen Kriminalroman schreiben«, improvisierte sie rasch, »und jetzt ist mir aufgegangen, daß ich dies hier - nun ja, als Recherche ansehen könnte.«
»Ich verstehe.«
Sie warf ihm einen weiteren kurzen Seitenblick zu und war von der Wärme seines Lächelns überrascht. Dieser Teufel konnte einen mit seinem Charme wirklich einwickeln. Sie erinnerte sich, dasselbe Lächeln vor Jahren auf der Leinwand gesehen zu haben, wo es die Herzen aller weiblichen Zuschauer hatte höher schlagen lassen.
»Sie sind eine bemerkenswerte tapfere junge Frau, Julie.«
Sie schluckte die ärgerliche Forderung hinunter, er möge sie doch bitte Miß Mathison nennen. »Eigentlich bin ich ein ganz großer Feigling, Mr. ...«
»Ich heiße Zack«, unterbrach er sie, und sie glaubte, aus seinem gelassenen Tonfall erneutes Mißtrauen herauszuhören.
»Zack«, stimmte sie hastig zu. »Sie haben ganz recht. Wir sollten uns gegenseitig mit Vornamen anreden, nachdem es so aussieht, als würden wir noch beieinander bleiben müssen. Ich nehme an, zumindest für ...«
»Eine Weile«, sprang er ein, und Julie brachte es tatsächlich fertig, ihre Frustration und Wut über diese ausweichende Antwort zu verbergen.
»Eine Weile«, vollendete sie ihren Satz, sorgsam bemüht, einen neutralen Ton zu wahren. »Ich schätze, das ist lange genug, damit Sie mir bei meinen Recherchen behilflich sein können.« Sie zögerte und überlegte, was sie ihn fragen könnte. »Würden Sie - nun, wären Sie so nett, mir einige Informationen darüber zu geben, wie es im Gefängnis wirklich zugeht? Das wäre mir für meine Geschichte eine große Hilfe.«
»Wäre es das?«
Mit den leisen, ständig wechselnden Nuancen in seiner Stimme trieb er ihre Angst in immer neue Höhen. Niemals zuvor hatte sie einen Menschen gekannt, der allein durch den subtilen, kaum wahrnehmbaren Wechsel in seiner Tonlage so viel ausdrücken konnte. Noch nie hatte sie eine Stimme wie seine gehört - fast ein Bariton, ein voller, dunkler Klang, der blitzschnell von höflich zu amüsiert, eisig oder unheilverkündend wechseln konnte. Als Antwort auf seine Frage nickte Julie heftig und versuchte, seinem skeptischen Ton dadurch zu begegnen, daß sie ihrer eigenen Stimme zusätzlich Nachdruck verlieh. »Unbedingt.« Einen Gedankenblitz aufgreifend, überlegte sie, ob seine Wachsamkeit vielleicht nachlassen würde, wenn sie ihm den Eindruck vermittelte, sie sei auf
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