Performer, Styler, Egoisten
Langer unterscheidet zwischen zwei verschiedenen Arten der Vernunft: einer diskursiven und einer präsentativen Vernunft. Die diskursive Vernunft ist an die Sprache gebunden und damit an die kognitive Logik. Es geht also um vernünftiges Denken und logisches Argumentieren. Die Möglichkeiten der Sprache, z. B. Gefühle auszudrücken, sind aber sehr eingeschränkt. Schnell ist man an die Grenzen ihres Vermögens gekommen, wo mit Wittgenstein gesagt werden muss: „Wovon man nicht sprechen kann, davon muss man schweigen.“ (Wittgenstein 1963) Im Gegensatz zur diskursiven ist die präsentative Vernunft unmittelbar in den Wahrnehmungsapparat eingelagert. Schon im Verfahren der Perzeption ordnet und typisiert der Mensch die Gegenstände der Wahrnehmung. Sehen, aber auch das Hören, nehmen ihre eigenen, uns unbewussten Abstraktionen vor und ordnen dadurch das einzelne wahrgenommene Objekt einer allgemeinen Kategorie zu. Für Susanne K. Langer ist Sehen selbst schon ein Formulierungsprozess. „Unser Verständnis der sichtbaren Welt beginnt im Auge.“ (Langer 1987: 97) Die präsentative Wahrnehmung hat einen unbestreitbaren Vorteil: Mit ihr kommt man über die engen Vernunftsgrenzen, die die Sprache setzt, hinaus. Die Wahrnehmung und Erkenntnis kann sich nun auch den Bilder- und Gefühlswelten zuwenden und sich damit für intuitive Formen der Erkenntnis und dem Verstehen öffnen.
Die Menschen der Postmoderne, vor allem die jungen, sind Augenmenschen. Die von ihnen bevorzugte Vernunft hat präsentativen Charakter. Damit sind sie Bildern zugänglicher als Sprache. Die postmoderne Jugend will fühlen, will affiziert werden, will die Verführung anstelle der Überzeugung. Wer heute erfolgreich kommunizierend Gesellschaft verändern will, der muss seine Botschaften in Bilder verwandeln können. Wer den jugendkulturellen Bildercode nicht beherrscht, der kämpft auf verlorenem Boden.
Daraus ergibt sich die Konsequenz, dass wichtiger als die Dinge selbst die Art und Weise ist, in der sie arrangiert werden. Als Beispiel kann hier das Essen in Restaurants dienen. Die Nachkriegsgeneration besuchte mit Vorliebe Restaurants, in denen für wenig Geld üppige Speisen serviert wurden. Wichtig war, dass die Speisen nahrhaft und wohlschmeckend waren, und vor allem, dass viel auf dem Teller lag. Sekundär war die Art und Weise, wie die Speisen angerichtet waren. Heute spielt die Inszenierung des Essens eine tragende Rolle. Das Wesentliche ist nicht mehr die Speise, sondern die Art und Weise ihrer ästhetischen Inszenierung. Die Gestaltung der unmittelbaren Umgebung, in der gegessen wird, ist wichtig geworden. Wie ist das Restaurant ästhetisch konzipiert? Welchen Lifestyle repräsentiert die Restaurantausstattung? Welche erlebniskulturellen Themen werden angesprochen? Sogar die Form des Essgeschirrs hat nun Bedeutung gewonnen. In vielen Restaurants hat das Geschirr ein unverwechselbares, individuelles Design. Und natürlich geht es auch darum, wie das Essen angerichtet ist. Die Speisen müssen kreativ arrangiert sein, wollen sie die ästhetischen Bedürfnisse der Augenmenschen befriedigen. Als zweites Beispiel für die Ästhetisierung des Sozialen soll die Politik herangezogen werden. Der Gebrauchswert des Politischen hat sich weitgehend ins Ästhetische verschoben. Es kommt nun darauf an, wie PolitikerInnen aussehen, was sie in ihrer Freizeit tun, ob sie körperlich fit und vital wirken, ja selbst, wie ihre persönliche Wohnumgebung gestaltet ist, spielt eine Rolle. Homestorys können wahlentscheidend sein. Die Tätowierung der Ehefrau eines Spitzenpolitikers kann ausschlaggebender für den Wahlerfolg sein als das Programm, das er vertritt.
Jugendkommunikation ist vor allem dann erfolgreich, wenn sie in der Form einer bildzentrierten, nicht-argumentativen Kommunikation auftritt. Ein wichtiger Grund für dieser Entwicklung besteht in der grundlegenden Transformation der Medienlandschaft, im Zuge derer die Bilder in den Vordergrund treten und der wortsprachliche Anteil von Kommunikation mehr und mehr reduziert wird. An die Stelle der an die Sprache gebundenen diskursiven Symbolik der Kommunikation tritt die von der Präsentation von Bildern, nonverbalen Lifestyle-Codes und sinnenbestürmender Musik abhängige präsentative Symbolik. Die durch Bildmedien maßgeblich beeinflusste Sozialisation der Jugend schafft Rezipienten, die vor allem für die nichtbegriffliche Kommunikation der Verführung sensibel sind. Wer also Jugendliche
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