Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)
sich ein paar flachsblonde Haare befreit, die seitlich unter dem engen Gebinde hervorlugten.
»Eine Oblatin«, flüsterte Margarete, die neben Elysa saß. »Ihr Vater ist Münzmeister in Bingen. Sie kam im Alter von neun Jahren in unser Kloster.«
»Sie ist nicht freiwillig da?«, fragte Elysa leise.
»Nein. Es war der Wunsch ihrer Eltern.« Margarete seufzte. »Wäre Hildegard noch am Leben – sie hätte es niemals zugelassen. Sie selbst war eine Oblatin, und der Herr hat ihr in einer Vision mitgeteilt, dass er das Darbringen von Kindern gegen deren Willen verurteilt. Priorin Agnes aber ignoriert es aus Sorge um die Zukunft des Konvents.«
»Warum?«
»Seit dem Tod der Rupertsberger Meisterin nimmt der Zustrom der Nonnen in Eibingen stetig ab. Die adeligen Familien sind nicht bereit, ihre Töchter in ein Kloster zu geben, in dem alle Stände zugelassen sind.«
»Es gibt doch ausreichend Anwärterinnen aus den unteren Ständen?«
»Ja, doch auch die müssen eine Mitgift zahlen, die ihrem Besitz entspricht. Es gibt inzwischen andere Klöster, die weit komfortabler sind als Eibingen und ihre Pforten auch den unteren Ständen öffnen.« Margarete sah Elysa an. »Dem Vernehmen nach muss dein Vater ein wohlhabender Handwerker sein – warum bist du nicht in Hirsau vorstellig geworden oder in St. Marien in Andernach?«
Überrascht setzte Elysa zu einer Antwort an. Doch bevor sie etwas sagen konnte, ertönte eine barsche Stimme.
»Habt ihr nichts Besseres zu tun, als herumzusitzen und zu schwatzen?« Unbemerkt hatte Ida den Raum betreten, bebend vor Zorn. Sie bewegte ihren Stab, bis er Margarete berührte, und schlug ihr mit kleinen festen Hieben auf den Rücken.
Margarete schrie auf, aber sie fügte sich. Hastig beugte sie sich über den Stoff, der vor ihr lag. Elysa kämpfte mit sich, sie wollteaufspringen und die blinde Nonne scharf zurechtweisen, entschied sich jedoch dagegen, durch ein solches Verhalten würde sie nur ihre Aufgabe erschweren. Dann verließ Ida den Raum.
Elysa betrachtete Margarete erstaunt, der nun die Tränen in die Augen stiegen. Warum ließ sie sich das gefallen? Sie war älter als Ida, und ihr gebührte mehr Respekt. Ida schien im Kloster die Rolle der Wächterin übernommen zu haben. Sie war blind, und doch hatte sie ihre Ohren überall. Was mochte sie über die Vorgänge wissen?
Eine Weile beugten sich die Frauen still über die Arbeit. Elysa beobachtete Anna, die unruhig auf ihrem Platz hin und her rutschte. Schließlich stand die junge Nonne auf und lief zum Fenster. Der Wind hatte an Stärke zugenommen und stob durch die Öffnung. Annas gelöste Strähnen flatterten im Wind, doch sie schien es nicht zu bemerken, lehnte sich gegen die Mauer und starrte mit sehnsüchtigem Blick hinaus. Die anderen Nonnen taten, als sähen sie es nicht, und fuhren mit der Arbeit fort.
Elysa wandte sich Margarete zu. »Ich muss mit dir sprechen«, wisperte sie.
Die Nonne schüttelte stumm den Kopf. Tränen rannen ihr noch immer über das Gesicht und versickerten im Stoff der engen Haube.
Elysa strich ihr über die Finger, die sich in das vor ihr liegende Gewand gekrallt hatten. »Du musst mir erzählen, was hier vor sich geht. Und warum es Schwester Ida erlaubt ist, Nonnen zu züchtigen.«
Die Nonne starrte regungslos ins Leere, Elysa glaubte, deren Angst fast körperlich zu spüren. Sie sah ein, dass sie Margarete so nicht zum Reden bringen könnte, nun, da sie vor den Augen der anderen bestraft worden war. Aber es gab noch eine Sache, die sie wissen musste.
»Glaubst du, Elisabeth ist auch vergiftet worden?«
Margarete sah auf, entsetzt.
»Du darfst jetzt nicht schweigen«, flehte Elysa. »Es könnte weiteren Menschen das Leben kosten.«
Margaretes Lippen schienen unhörbare Worte zu formen. Und so leise, dass Elysa es nur mit Mühe verstehen konnte, flüsterte sie: »Ich habe furchtbares Unrecht getan. Und ich glaube, wir werden alle dafür bestraft.«
6
C lemens von Hagen trieb sein Pferd an. Er hatte den Wind im Rücken, mit Gottes Hilfe würde er es schaffen und die Mönche rasch einholen, die Adalberts Leichnam ins Heimatkloster führten.
Die Überfahrt über den Rhein hatte viel Zeit gekostet, kaum ein Fährmann wollte sich bereit erklären, den Weg bei Sturm zu wagen, doch schließlich hatte einer der Verlockung des Geldes nachgegeben.
Clemens wusste nicht, was ihn so antrieb. Glaubte er wirklich, die Mönche könnten ihm bei seinen Untersuchungen weiterhelfen? Eine Eingebung
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