Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)
sagte ihm, dass Adalbert etwas erfahren haben musste, das ihm Aufschluss gab. Aufschluss über jene Dinge, die sein Großonkel Heinrich im Vertrauen angedeutet hatte, bevor er gestorben war.
War es Zufall, dass Heinrich nur kurz nach Propst Hugo von Bermersheim verschied, kaum dass Wibert von Gembloux das Kloster betreten hatte?
Es wäre übereilt, hier einen Zusammenhang zu vermuten, beide waren alt gewesen, beinahe Greise. Und doch verfingen sich Clemens’ Gedanken bei Wibert, dem feurigen Wallonen, der die Meisterin mit schmeichelnden Briefen belästigt hatte, sich schließlich in ihrem Kloster niederließ und seinem Abt dafür eine Einladung vorgaukelte, die Hildegard niemals ausgesprochenhatte. Und der, kaum waren Seelsorger und Propst verstorben, sich sogleich als Ersatz anbot und damit Zugriff auf sämtliche Werke der seligen Meisterin bekam. Auf alle Visionsschriften und Briefe, alle musikalischen, theologischen und naturheilkundlichen Werke und auf die Lingua Ignota , die geheime Sprache.
Von Beginn an hatte Clemens großes Misstrauen gegen diesen Mönch gehegt, der sich auch nicht scheute, Worte der Schriften gefälliger zu feilen, trotz Hildegards Anliegen, alles Empfangene der Vision gleich zu belassen. Hatte die Prophetin den Wallonen auch an der vollständigen Lingua Ignota teilhaben lassen?
Wie viel hingegen hatte Bruder Adalbert gewusst? Gewiss war, dass er etwas erfahren hatte, das seine Pläne, zum Heimatkloster zurückzukehren, durchkreuzt hatte.
Noch im September war der Mönch anlässlich des Hildegardisfestes auf dem Rupertsberg zu Gast gewesen. Er konnte unmöglich die lange Reise nach Zwiefalten angetreten haben, um kurz darauf wieder gen Bingen zu fahren, dieses Mal zum Kloster Eibingen. Etwas musste ihn aufgehalten haben.
Clemens von Hagen fragte sich, ob es nicht besser gewesen wäre, das Rupertsberger Kloster aufzusuchen, um dort etwas über Adalberts Aufenthalt in Erfahrung zu bringen, statt durch Wälder zu reiten, in denen die Pfade immer schmaler wurden.
War es der richtige Weg? Er hatte die Abkürzung durch die Wälder genommen, um in Höhe von Oppenheim auf die alte Römerstraße zu stoßen, die im weiteren Verlauf über Cannstatt nach Augsburg führte. Doch nun war er nicht sicher, ob er die vorgesehene Richtung eingeschlagen hatte. Er sah durch die blattlosen Bäume in den Himmel, wo Wolken die Sterne verdeckten und damit jede Orientierung unmöglich machten.
Clemens stieg ab und untersuchte den Boden, der, von Laub bedeckt, den Pfad nur noch erahnen ließ. Dann besah er die Rinden der Bäume, fühlte die moosbewachsenen Seiten.
Es musste der richtige Weg sein. Mit einem Schwung hob Clemens sich auf sein Pferd, dessen Atem nun ein wenig ruhiger ging.
Der Wind drängte in seinem Rücken, schien ihn vorwärtszuschieben. In diesen Tagen war der Wind überall, durchdrang den ganzen Kosmos, eisig und voll zerstörerischer Kraft. Die Sonne war auf ihrem Weg vom Feuerkreis hinab in der Kälte angekommen, in der ihre Strahlung keine Kraft mehr besaß.
Das nasse Grau des Tages begann seinen Übergang in die Dämmerung, und der Kanonikus erkannte, dass er bald ein gastliches Haus aufsuchen musste, wollte er nicht in den Wäldern nächtigen, wo die Armen sich zusammenrotteten und ihre Nebenwelt lebten. Ohne Zweifel würde deren räuberische Mordlust auch vor einem Geistlichen nicht haltmachen.
Die Dunkelheit nahm rasch zu, der Pfad war kaum noch zu erkennen, doch weder war eine Siedlung in Sicht, noch bemerkte Clemens Rauchsäulen, die ihm Hinweise auf eine Feuerstelle gegeben hätten.
Er dachte an Elysa von Bergheim und an ihren angsterfüllten Blick, als er sein Vorhaben enthüllt hatte. War es richtig gewesen, sie in die Vorgänge zu verwickeln?
Und doch gab es niemand anderen, dem er diese Aufgabe zugetraut hätte. Keine Frau, die er kannte, besaß jene Fähigkeit, Dinge mit dem Verstand und gleichzeitiger Gottesfurcht schlüssig zu beurteilen, auch wenn Elysas Eigenwille so manches Mal im Weg stehen mochte. Clemens erinnerte sich voller Wärme an die wenigen Worte, die sie in diesen Tagen gewechselt hatten. Nie zuvor hatte eine Frau derart sein Interesse geweckt. Bernhard von Oberstein, über die Grenzen hinaus bekannter Gelehrter, hatte viel von Elysa erzählt, und was Clemens selbst in diesen wenigen Stunden erfahren hatte, bestätigte das Gesagte.
Nein, es war richtig gewesen. Es hätte sie ohnehin auf Burg Bergheim nichts Gutes erwartet. Clemens war Magnus von
Weitere Kostenlose Bücher