Perlensamt
okay? Ich meine es ernst. Du siehst abgearbeitet aus. Du mußt dich amüsieren.«
Oben auf dem Stapel hatten die Memoiren von Otto Abetz gelegen. Das Anfang der fünfziger Jahre erschienene Buch trug den sinnigen Titel Das offene Problem. Auf dem Vorsatzpapier stand eine handschriftliche Widmung des Verfassers. Dem Kreisverband Altona der Deutschen Jungdemokraten für 1.750 gesammelte Unterschriften zur Erreichung der Generalamnestie als Anerkennung überreicht. Landesjugendtag 1952 in Werl. Davids Großvater war noch kürzer in Haft gewesen, als ich angenommen hatte.
Die Akten überflog ich in der Bibliothek. Die Publikationen nahm ich mit nach Hause. Zwei Biographien waren darunter. Eine, die den Zeitraum bis 1945 behandelte – offenbar die Doktorarbeit eines deutschen Historikers. Schon der Anfang las sich ziemlich trocken. Die andere Biographie reichte bis zu Abetz’ Tod und schien lesbarer geschrieben. Die Autorin war Französin. Schon im Vorwort war klar, daß sie davon ausging, daß jeder wußte, über wen sie schrieb. David hatte recht. In Frankreich erinnerte man sich an Otto Abetz. In Deutschland kannte man kaum noch seinen Namen.
Einige Tage später rief Kaspar an. Er lud mich für den kommenden Samstag ein. Ich sagte gedankenlos zu.
»Bring jemanden mit.«
Wen bloß? David? Mein Gefühl sagte mir, daß das kompliziert werden könnte.
Auf dem Schreibtisch in meiner Wohnung türmten sich inzwischen die Kopien der Dokumente, das Urteil des Pariser Militärgerichts von 1949, Korrespondenzen von 1936 aus Gauleiterbüros der NSDAP, Botschaftsberichte an das Auswärtige Amt. Mittig auf den Blättern prangte das Hakenkreuz. Nichts Spektakuläres in dieser Zeit, kein Beweismaterial für besonders niederträchtiges Verhalten. Was ich im Auswärtigen Amt vermißt hatte, hatte ich im Bundesarchiv gefunden. Das düstere Aussehen der Kopien hatte nichts mit den dunklen Jahren zu tun. Es rührte von dem schlechten Kopierer, der direkt vom Mikrofilm ablichtete. Und doch sahen diese Doppel so aus, als seien Erscheinung und Inhalt aneinander gekoppelt, verbunden durch einen undurchsichtigen Zusammenhang. Jetzt liegen sie wieder vor mir, Unterlagen, die Stimmung machen, aber nichts erklären, nichts erläutern. Jedenfalls nicht den Fall Perlensamt. Ich werfe alles in die Flammen.
Ich hatte ein einziges Porträtphoto von Otto Abetz gefunden. Darauf sah er David überhaupt nicht ähnlich. Ob die Ähnlichkeit, die Bernstein bei dem Schüler intuitiv festgestellt hatte, sich im Laufe von Davids Entwicklung verwachsen hatte? Ich wagte nicht, David darauf anzusprechen. Ich vermied das Thema, wenn wir uns trafen. Je mehr ich mich mit seiner Familie beschäftige, desto größer wurden meine Zweifel und meine Distanz zu ihm.
Zu Kaspars Einladung nahm ich Mona mit.
Seit seiner Rückkehr aus Shanghai bewohnte Kaspar mit seiner Familie das Parterre und die erste Etage eines dreistöckigen Hauses in Schöneberg. Da ihm das Terrain nicht groß genug gewesen war und darüber hinaus die Eigentümer das Nachbarhaus hatten verkaufen wollen, erwarb er kurzerhand das angrenzende Grundstück und ließ das häßliche Gebäude darauf abreißen. Die Idylle, die er mitten in der Stadt geschaffen hatte, war bemerkenswert – und wäre von dem Gehalt eines vortragenden Legationsrats kaum zu bestreiten gewesen. Sie wurde dadurch perfekt, daß seine Frau Solange eine begeisterte Amateurgärtnerin war. Erbin eines großen Vermögens zudem. Ich war beeindruckt. Mona nicht.
Außer uns war ein Ehepaar eingeladen, offenbar eine Schulfreundin von Kaspar mit ihrem Mann, sowie ein Amtskollege, Arthur – den Familiennamen habe ich vergessen –, der gerade auf Posten in Ruanda war. Er schien mehr als angetan von Mona. Ich sah es auf den ersten Blick. Mit gemischten Gefühlen.
Obwohl es Dezember war, wurde gegrillt. Das war der Tribut, den wir an den Garten zu leisten hatten. Wir standen eine Weile in Mänteln, Jacken und Schals herum, wärmten uns an der Glut und harrten der Erlaubnis, hineingehen zu dürfen.
»Du hast eine sympathische Freundin. Eine richtige Schönheit.«
Wir hatten uns nach drinnen verkrochen mit der Ausrede, wir sähen nach dem Wein.
»Ja. Aber sie ist nicht meine Freundin. Sie ist eine Kollegin aus der Firma.«
»Schade.« Dann grinste er. »Kann ja noch werden, das heißt, wenn dir da nicht gerade jemand in die Quere kommt.«
Er wies nach draußen. Der aufgeblasene Typ war in ein Gespräch mit Mona vertieft.
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