Perlensamt
mußte?«
Davids Stimme ganz nah an meinem Ohr. Aber nicht nur seine Stimme. Es war, als hätte er neben mir gelegen. Als hätte ich seinen Körper gespürt, einen sehr muskulösen Körper.
»Deswegen?«
»Natürlich deswegen, was dachtest denn du?«
»Aber – aber hat er deswegen seine Frau getötet? Ich verstehe nicht – da gibt es doch gar keinen Zusammenhang.«
Ich hatte mich angezogen und sah mich noch einmal um. Das Bett. Ich konnte es unmöglich so lassen. Es sah zerwühlt aus. Ich zerwühle nie mein Bett. Ich wollte nicht, daß irgend jemand es so fand. Ich ging zurück und zog die Laken ab. Dann knüllte ich alles zusammen und trug den Wäschehaufen in die Küche, erleichtert, daß mir das noch eingefallen war.Dann verließ ich die Wohnung so leise wie möglich.
FÜNFZEHN
Ich wandte mich an einen alten Freund. Kaspar de Lac entstammt einer deutschen Diplomatendynastie. Wir kennen uns von Harvard. Er war seit einem halben Jahr von einem Posten in Shanghai zurück. Bisher waren wir noch nicht dazu gekommen, uns zu treffen. Erst da fiel mir auf, wie viel Zeit ich mit David verbrachte. Ich bat Kaspar, in der Bibliothek des Auswärtigen Amtes nachsehen zu lassen, ob es etwas über Otto Abetz gäbe – und was.
»Ich rufe sofort unten an. Komm am Nachmittag vorbei, dann liegt das Zeug bereit.«
Kaspar und ich hatten uns einige Jahre nicht gesehen. Er war dünn geworden und sah deutlich älter aus. Früher hatte er etwas Verspieltes, Unernstes an sich gehabt. Er hatte gern gerauft, war sportlich und albern gewesen und sehr relaxt: Vielleicht lag das an seinem Familienhintergrund. Ich hatte ihn darum beneidet. Er kam eben aus diesen Kreisen, und alles, was sich dann ergeben hat, war für ihn selbstverständlich und für mich unerreichbar – einschließlich, wie ich bald feststellen sollte, einer solchen Ehefrau. Aus dem jungen Hund, mit dem ich einst Unsinn getrieben hatte, war ein Mann mit klaren Zielen geworden. Vermutlich das, was man einen souveränen Diplomaten nennt. Kaspar tat ein bißchen so, als gehörte der ganze Laden ihm.
»Du hast vollkommen recht, mich an meine Rebellion gegen das Amt zu erinnern. Ich bin halt doch nicht so solitär, wie ich es gern gewesen wäre. Die Familie war stärker. Vage lieben wir das Land, aus dem wir kommen, und ebenso vage halten wir es darin nicht aus. Ständig davor wegzulaufen und in anderen Gefilden von der eigenen Herkunft zu schwärmen, liegt uns in den Genen. Der Rest ist Dekoration.«
Wen er mit uns meinte, seine Familie oder das Auswärtige Amt, blieb unklar. Er wollte wissen, wozu ich die Recherchen über eine so düstere Figur anstellte. Nachdem ich ihm von Perlensamt erzählt hatte, sah Kaspar mich zweifelnd an.
»Was geht dich das an? Sei froh, daß du damit nichts zu tun hast. Laß die Pfoten von dem Typen.«
Leichte Arroganz klang im Unterton dieser Warnung mit, als wollte er sagen, Martin, das ist kein Umgang für dich. Ich lachte verlegen. Ein mulmiges Gefühl blieb zurück, das ich mir nicht erklären konnte. Kurz erwog ich, das Kindheitserlebnis aus Langenfeld zu erwähnen, unterließ es dann aber. Ich wollte mich nicht lächerlich machen. Kaspar war nicht der Mensch, der glaubte, alles hinge mit allem zusammen.
»Ich habe noch nie den Enkel eines dieser Monster kennengelernt«, gab ich jovial zur Antwort und versuchte, die ganze Sache ins Komische zu ziehen. Im selben Augenblick hatte ich das Gefühl, David zu verraten.
»Woher weißt du, daß ich keiner bin? Du hast mich nie nach meinem Großvater gefragt.« Kaspar lachte treuherzig. »Du, verrenn dich nicht. Auch Monster basieren in erster Linie auf derselben Chemie wie wir – und du bist kein Psychoanalytiker. Du hast genug mit deiner Karriere zu tun. Laß uns abends mal was trinken gehen, wenn ich aus dieser Knochenmühle rauskomme, gern auch zu viert.«
»Zu viert? Denkst du an jemand Bestimmtes?«
Er lachte wieder. »An meine Frau. Ich habe geheiratet, bevor ich nach Shanghai ging, Hals über Kopf. Die Familie war ziemlich sauer über diese Blitzhochzeit. Wir könnten uns auch zum Essen treffen, bring jemanden mit. Oh, entschuldige – was heißt hier jemanden , womöglich bist du inzwischen auch verheiratet?«
Ich verneinte eilig. Er brachte mich in die Bibliothek und lieferte mich vor einem riesigen Stapel Bücher ab.
»Wenn du etwas mit nach Hause nehmen willst, laß es auf meinen Namen eintragen.« Kaspar gab mir einen leichten Klaps auf die Schulter. »Und melde dich,
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