Perlensamt
Sie freut sich immer, wenn ich ihr etwas mitbringe. Sie findet es so interessant, was es bei anderen zu essen gibt, und richtet es dann gerne selber an, wenn’s gut war. Amüsieren Sie sich mal ein Sekündchen ohne mich. Ich bin gleich wieder da.«
Für ein Sekündchen fuhr es mir durch den Kopf, daß Margaux die Haushälterin des Hauses 815 Fifth Avenue war und die Eigentümerin vielleicht verreist. Es gab wirklich kuriose Gestalten in New York. Berlin mußte sich noch ganz schön rappeln, um dieses Maß an Eigenwilligkeit und schwindelerregender Phantasie zu entwickeln. Ich ging wieder in die Bibliothek zurück, flanierte zwischen den Gästen hin und her und glitt während der einsamen Betrachtungen fast in einen Schlummer. Halb wach ließ ich mir den Namen der Gastgeber auf der Zunge zergehen. Beim besten Willen: von diesen Sammlern hatte ich noch nie etwas gehört. Sie mußten durch Strohmänner kaufen lassen. Ein Schrei riß mich aus dieser Überlegung. Er klang hoch und entsetzt und wurde schnell erstickt. Einige Leute sprangen auf eine Stelle des Raumes zu. Als das Knäuel sich löste, erkannte ich Margaux. Man hob sie auf, hielt ihr Riechsalz unter die Nase und bettete sie auf ein Sofa. Ein Herr hatte nach einem Hochglanzmagazin gegriffen und fächelte Luft. Eine Dame mit Seidenturban hielt Margaux’ Kopf, öffnete den Reißverschluß ihres Kleides und schob die Ärmel hoch. Kaum war Margaux wieder bei Bewußtsein, schob sie wie im Reflex, geradezu panisch die Ärmel ihres Kleides wieder herunter. Ohne darauf zu achten, daß der Reißverschluß in ihrem Rücken offenstand, sprang sie auf, lief auf den Akt von Vuillard zu, der in einem üppigen goldenen Rahmen über einer Anrichte hing, und sagte fast tonlos, das Bild habe ihrer Mutter gehört. Sie zitterte.
»Es hat in Zehlendorf in der Milinowskistraße 18 in ihrem Zimmer gehangen. Vater hat es von Bernheim-Jeune in Paris gekauft.«
Es war still im Raum. Die Party schien zu Ende. Aber niemand wußte, wie man sie auflösen sollte. Ich hatte von solchen Vorfällen gehört. Sie kamen angeblich gar nicht so selten vor, seit in den neunziger Jahren die systematischen Untersuchungen über den Verbleib der Raubkunst begonnen hatten. Publikationen mit verschollenen wie unbeanspruchten Bildern, die man keinem rechtmäßigen Eigner zuordnen konnte, waren erschienen. Mögliche Erben und Nachkommen waren aufgescheucht. Aber ich hatte noch nie eine Situation wie diese erlebt. Auch ich begann zu zittern. Meine Hände wurden feucht. Angespannt beobachtete ich, wer zuerst reagieren würde.
Für das, was mir in den folgenden Sekündchen durch den Kopf schoß, sollte ich mich später schämen. Ich hatte das angebliche Konto im Pierre vor Augen, den Wechsel der Schuhe, die eingesackten Canapés, und fragte mich: Ist das nun ein Auftritt vor großem Publikum? Margaux trat dicht an das Bild heran. Andächtig wie ein kleines Mädchen stand sie davor. Sie betrachtete die nackte, ruhende Frau auf dem zerwühlten Bett, die den Kopf in ihren Armen barg. Dann sah ich, wie Margaux die Tränen kamen. Aus den dicken, falschen Wimpern löste sich die Tusche. Sie hinterließ schwarze Schlieren auf den knochigen, rosig gepuderten Wangen.
»Mutters Bild«, flüsterte sie.
Ich trat neben sie. »Sind Sie sicher, Margaux, daß dieses Bild Ihrer Mutter gehörte?«
»Vater hat eine wunderbare Sammlung gehabt, damals in Berlin. Dieses war Mutters Lieblingsbild. Mein Lieblingsbild war Die Dame in Weiß von Berthe Morisot, die bei uns im Frühstückszimmer hing. Sie blickte verträumt, ausgehbereit, aber verträumt, als wüßte sie nicht, wohin sie gehen sollte. Ich habe das Bild sehr geliebt. Ich habe geweint, als sie es mitgenommen haben.«
Sie schien in eine andere Zeit zu sinken. Stimmte, was sie sagte? Die Dame in Weiß von Berthe Morisot galt als verschollen. Die letzten Spuren hatte das Bild in den Akten der Kunsthändler Bernheim-Jeune hinterlassen. Auch das Bild, vor dem wir standen, war im Besitz von Bernheim-Jeune gewesen. Ich hatte nie davon gehört, daß es wieder aufgetaucht war. Ich hatte allerdings auch nie davon gehört, daß Bernheim-Jeune es an einen Deutschen nach Berlin verkauft hatte.
Ich mußte ihr diese Frage stellen: »Haben Sie einen Beweis dafür, Margaux?«
»Ich habe eine Photographie von mir als Kind. Ich sitze auf einem Stuhl an Mamas Sekretär, darüber hängt das Bild.«
»Das könnte auch in einem anderen Haus gewesen sein.«
»Warum sagen Sie
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