Perlensamt
das?«
»Weil der gegnerische Anwalt Ihnen dasselbe sagen würde.«
Alle hatten gebannt auf uns gestarrt und das geflüsterte Deutsch gehört, vermutlich ohne einen Bruchteil davon zu verstehen. Und doch wußten alle, daß es um das Bild ging. Eine Stimme wurde laut. Was die Frau denn wolle, sagte ein Mann um die Fünfzig, vielleicht der Hausherr. Er kam herüber und sah mich herausfordernd an. Dann wandte er sich direkt an Margaux. »Wer sind Sie? Ich kenne Sie nicht. Wie kommt es, daß sich Leute in meinem Haus befinden, die ich nicht kenne?«
Er blickte sich um, als suchte er jemanden, der ihm das erklären könnte. Niemand meldete sich. Ich stellte erst Margaux Veil vor, dann mich selbst. Ich sagte, Margaux sei in Begleitung ihrer Freundin Lili hier. Ich suchte sie in der Menge. Aber Lili war fort.
»Lassen Sie uns beiseite gehen. Ich habe eine Frage. Danach werde ich Mrs. Veil nach Hause begleiten, und Ihr Empfang geht einfach weiter.«
Am Ende eines Ganges, der vermutlich zu den privaten Zimmern führte, fragte ich Mr. Lockwist höflich, wo er das Bild erworben hätte. Er zog die Brauen hoch und nannte eine Auktion in New York einige Jahre zuvor.
»Es gilt seit Jahren als vermißt.«
»Was wollen Sie? Spionieren Sie? Gehören Sie zu dieser Mafia von Kunstjägern, die ehrliche Leute um ihr Geld betrügen wollen, um sich selbst ein Haus an der Côte d’Azur zu kaufen? Raus mit Ihnen! Wenn Sie nicht sofort gehen und diese Schwindlerin mitnehmen, lasse ich nachhelfen.«
Am nächsten Tag, es war Thanksgiving, trafen wir uns nachmittags in der Lobby des Four Seasons. Margaux war wieder die, die ich kennengelernt hatte. Sie saß in einem der tiefen Sessel, als gäbe sie eine Audienz, elegant, in etwas altmodischen schwarzen Samthosen. Der schwarze Rollkragenpullover bedeckte ihren Hals. Seine Ärmel reichten weit über die Handgelenke. Sie war perfekt geschminkt. Ihr Haar schien frisch gefärbt. Keine Spur von Trauer. Keine Spur Verlorenheit. Sie zeigte mir die Photographie eines kleinen dunkelhaarigen Mädchens an einem Biedermeiersekretär. Darüber hing der Akt von Vuillard. Auf der Rückseite des Photos las ich Margie, 10 Jahre, in der Milinowskistraße an meinem Schreibtisch, Berlin 1928. Mehr von sich gab sie nicht preis. Die einzige Frage, die ich zu stellen wagte, war die, ob sie auf Herausgabe des Bildes klagen wollte.
»Was soll das? Arthur, mein Mann, hat mir andere Bilder gekauft. Ich habe keine Kinder. Für mich gibt es nur die Gegenwart. Ich amüsiere mich lieber in dieser herrlichen Stadt, als daß ich meine Seele mit Prozessen bitter mache. Nächste Woche reise ich nach Berlin, ein paar alte Bekannte wiederzusehen. Ich war nun schon zehn Jahre nicht mehr dort.«
Sie steckte die Photographie zurück in die Tasche, stand auf und verabschiedete sich. Sie hätte eine Einladung zu Thanksgiving und müßte sich noch umziehen. Die Rechnung für den Tee überließ sie mir. Ich erfuhr nie, ob Margaux die Haushälterin oder die Hausherrin von 815 Fifth Avenue war.
Nach diesem Erlebnis kämpfte ich mit Befangenheit, wenn uns bestimmte Bilder angeboten wurden. Häufig liefen Sequenzen wie die, die ich mit Margaux Veil erlebt hatte, vor meinen Augen ab. Es waren immer die sogenannten Opfer und ihre Nachkommen, die darin eine Rolle spielten. Die Peiniger, ihre Kinder und Enkel blieben im Dunkeln. Ich wehrte mich gegen die Albträume und die schlaflosen Nächte. Ich war weder Anwalt noch Weltverbesserer und wollte auch nichts dergleichen werden. Ich war Kunsthistoriker und wollte es bleiben. Ich liebte das Schöne in der Geschichte weit mehr als die Geschichte selbst, ich liebte seine Überzeitlichkeit und sein Trotzen gegen die Wirklichkeit. Kunst, das hatte ich vielleicht vorher nur intuitiv gewußt, war mein Gegenentwurf zu dem, was man landläufig Schicksal nennt. Da ich selbst nicht in der Lage war, Kunst zu machen, wollte ich wenigstens in ihrer unmittelbaren Nähe sein. Wie sehr die Nazis auch dieses Gebiet verseucht hatten, wurde mir, glaube ich, erst nach dem New Yorker Erlebnis klar. Sie hatten nicht einfach Bilder geklaut. Bevor sie die Eigentümer ins Gas schickten, führten sie vor, wie man Identitäten und Visionen zerstört.
Ein halbes Jahr nach meinem Erlebnis wechselte Philipp Adam, unser Juwelenexperte, zu unserer Dependance nach London. D. D. Miles bot mir an, die Juwelenabteilung für den deutschsprachigen Raum zu übernehmen. Ich nahm dankbar an. Mona, die bisher halbtags als
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