Perlentöchter
Cliff Richard erinnerte. Oder sie bediente sich von dem Messwein, oder vielleicht war sie auch zu dem alten Herrenhaus hinübergegangen, wo die Kirchendamen offenbar den Tee vorbereiteten, sicher in großen Edelstahlkesseln, die von der Gemeindehalle ausgeliehen waren. In den letzten paar Jahren war Grace noch unberechenbarer geworden als zuvor. Weiß der Himmel, wie sie es schaffte, sich in ihrem Job zu halten.
»Sie war da. Sie hat neben mir gesessen und schrecklich unangemessene Kommentare von sich gegeben. Lach nicht, Simon. Das war richtig peinlich.«
»Ist sie das nicht?«
Simon deutete auf eine große, schlanke Gestalt in einem herrlichen cremefarbenen Kostüm, die sich stromlinienförmig durch die Menge auf sie zubewegte wie ein Model auf dem Catwalk. »Simon!« Grace stürzte sich auf Carolines Mann und küsste ihn laut auf beide Wangen. »Ihr ahnt ja nicht, was uns bevorsteht. Da kommt ihr nie drauf! Das Testament wird gleich in der Bibliothek eröffnet. Und ich weiß bereits, was drinsteht!«
Wie üblich bediente sich Grace ihrer ökonomischen Annäherungsweise an die Wahrheit: eine Taktik, die Simons Zeitung bestimmten Politikern unterstellte. Es kristallisierte sich heraus, dass Grace lediglich ein Gerücht aufgeschnappt hatte, als sie eine Abkürzung zwischen den Gräbern hindurch genommen hatte, um die Menge zu umgehen. »Anscheinend hat Phoebe das Haus der Wohlfahrt vermacht.«
Sie würde das nicht ausschließen, dachte Caroline, während sie mit knirschenden Schritten die Auffahrt zu der prächtigen großen Eingangstür hochgingen, die mit der runden Messingglocke in der rechten Steinsäule sicher original georgianisch war. Ihre Großtante – eine Bezeichnung, die Grace nicht in den Mund nehmen wollte, weil, wie sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit betonte, Phoebe sich nicht verhalten habe, wie von der Schwester ihrer Großmutter zu erwarten gewesen wäre – hatte keine leiblichen Kinder. Und obwohl sie Carolines Mutter Helen und deren Bruder Frank großgezogen hatte, nachdem deren eigene Mutter, Phoebes Schwester Rose, gestorben war, hatte Phoebe sich immer distanziert verhalten. »Ihr fehlte das Mutter-Gen«, hatte ihr Onkel Frank einmal dazu gesagt. »Es wäre anders gewesen, wenn sie eigene Kinder gehabt hätte.«
Sicherlich rechneten weder Caroline noch Grace damit, dass sie das Haus erbten. Eher ihr Onkel. Aber eine wohltätige Organisation? Caroline hoffte nur, es würde eine sein, die das Vermächtnis zu würdigen wusste, und nicht eine, die das Geld verwendete, um ihre Vorstandsmitglieder auf eine kostenlose Vergnügungsreise in die Karibik zu schicken. Trotzdem, nun waren sie hier, in der Bibliothek. Verglichen mit dem restlichen Haus, war es ein eher kleiner Raum mit einem langen Mahagonitisch in der Mitte, um den Stühle standen.
Ein großer, kräftiger Mann in einem grauen Anzug, der ihm nicht richtig zu passen schien, bedeutete ihnen, Platz zu nehmen. Selbst Grace wirkte ernst.
»Wir sind heute hier versammelt …«
Klingt wie bei einer Hochzeit, lag Caroline auf der Zunge.
»… um den letzten Willen von Phoebe Isobel Wright zu verlesen.«
Abgelenkt von den Wandgemälden von engelgleichen Jünglingen im Gehrock mit rosigen Wangen und sehnsüchtigen jungen Frauen mit Porzellanteint, die aus vergoldeten Rahmen starrten, ließ Caroline die Worte an sich vorbeirauschen. Sie hatte ganz vergessen, wie herrlich die Bilder waren! Fast so bezaubernd wie die Regale voller Bücher, von denen sie einige gelesen hatte, als ihre Mutter sie einen Sommer lang hierhergeschickt hatte, damit sie ihre Großtante kennenlernte.
»Wie Sie also sehen können, wird das Haus in Anbetracht der finanziellen Situation Ihrer Großtante verkauft werden, um die Schulden zu tilgen.«
Schulden?
Ihrer Schwester und ihrem Mann stand die Überraschung ins Gesicht geschrieben. Was hatte sie verpasst?
»Allerdings gibt es ein paar Ausnahmen«, brummte der Notar mit seiner tiefen Stimme. »Abgesehen von den Gemälden und den Schmuckstücken, die ebenfalls verkauft werden, hat Ihre Tante bestimmt, dass eine Perlenkette, die sich, wenn ich richtig informiert bin, seit Generationen in Familienbesitz befindet, an ihre Großnichte Caroline gehen soll.«
Ein zweistimmiges leises Keuchen war zu hören. Eines, wie Caroline bewusst wurde, aus ihrem eigenen Mund, das andere aus dem Mund ihrer Schwester. »Des Weiteren hinterlässt sie Wilfred ihrer Großnichte Grace.«
»Wilfred?«
Wieder reagierten beide
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