Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)
Danach trieb er das Lakonische auf die Spitze, bis ihm klarwurde, daß sie darin eine Wut spüren würden, die ihn auf andere Weise verriete. Schließlich wurde es ein förmlicher, nichtssagender Absagebrief, den er auf die Kommode im Flur legte.
Der Tunnel-Traum, der ihn eine Weile in Ruhe gelassen hatte, überfiel ihn jetzt wieder öfter, und wenn er aufwachte, war immer der Satz da: Die roten Hände werden ihn nie mehr loslassen. Er fand nie heraus, ob der Satz von Leskov neben ihm gesprochen wurde, oder ob er ihm erst nach dem Ende des Traums in den Sinn kam. Er gewöhnte sich an, sofort aufzustehen und bei einer Tasse Tee etwas Musik zu hören.
Am Ringfinger der linken Hand blieb eine feine, weiße Narbe.
Einmal träumte er, die As-Dur-Polonaise zu spielen. Es ging alles glatt, auch die Angststelle, und er verstand nicht, warum er wie aus einem Alptraum erwachte. Erst im Laufe des Tages wurde es ihm klar: Er hatte sich beim Spielen gelangweilt. Verstört machte er einen langen Spaziergang vorbei an Geschäften, in denen die Weihnachtsdekoration abgebaut wurde. Es war ihm, als habe jemand ein großes Stück aus ihm herausgebrochen. Ganz laut hörte er im Kopf die Akkorde, und jetzt dachte er wieder einmal an Brian Millar. Er haßte ihn.
Den Brief an Leskov schrieb er am letzten Tag des Jahres. Er konnte an diesem Tag nichts essen, und es wurde ein steifer Brief. Er habe sich, schrieb er gegen Schluß, Gorkijs Roman gleich nach der Rückkehr selbst besorgt. Deshalb schicke er ihm sein Exemplar zurück, denn das seien doch für ihn sehr wertvolle Bücher. An diesen Sätzen feilte er sehr lange. Er wollte Distanz schaffen, ohne Leskov zu verletzen. Es war eine unlösbare Aufgabe. Schließlich entschied er, daß die praktische Wendung, die er dem Ganzen gab, deutlich genug war.
Am Tag nach Neujahr brachte er alles zur Post. Als er auf dem Rückweg am Kiosk eine Zeitung kaufte, traf er die Bibliothekarin des Instituts. Während sie zusammen über den neuesten Klatsch lachten, war Perlmann versucht, ihr den Arm um die Schulter zu legen. Er spürte die vorweggenommene Bewegung im Arm, aber es gelang ihm, innerlich abzubremsen, und die Hand blieb in der Tasche.
In der Zeitung stieß er auf eine Anzeige, in der ein Lehrer für die deutsche Schule in Managua gesucht wurde. Er machte sich noch einmal auf den Weg und besorgte sich das gewünschte Lichtbild. Unterwegs dachte er daran, daß er an diesem Tag die Stelle bei Olivetti hätte antreten können. Als die Bewerbung fertig war, fiel ihm ein, daß er vergessen hatte einzukaufen. Er betrat ein überfülltes Lokal mit Weihnachtskitsch an den Wänden. Als ihm das schrille Lachen einer großen Tafelrunde entgegenschlug, machte er kehrt und ging leere Straßen entlang zum Bahnhof, wo er an einem Schnellimbißwagen eine verbrannte Wurst aß und ein Brötchen, das wie Sägemehl schmeckte.
Am Montag morgen warf Perlmann die Bewerbung für Managua in den Briefkasten gegenüber der Universität. Auf dem Weg zum Hörsaalgebäude rutschte er aus und fiel hin. Nachdem er sich den Schnee vom Mantel geklopft hatte, stand er einen Moment still und schloß die Augen. Er dachte an das Ticken der Uhr, als er die Halle betrat und mit langsamen Schritten auf den Hörsaal zuging.
Es war nichts geschehen.
Verlagsgruppe Random House
15. Auflage
Genehmigte Taschenbuchausgabe August 1997, btb Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Copyright © 1995 by Albrecht Knaus Verlag
in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Umschlagmotiv: Peter Klaucke
Druck und Einband: CPI – Clausen & Bosse, Leck
KR · Herstellung: BB
eISBN : 978-3-641-02552-6
www.btb-verlag.de
www.randomhouse.de
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