Pern 07 - Moreta, die Drache
anzustecken.
Capiam machte sich schwere Vorwürfe, daß er Sh'gall gebeten hatte, ihn von Süd-Boll zurück nach Fort zu bringen.
Andererseits hatte Sh'gall Baron Ratoshigan eigens nach Ista geflogen, weil sie dort das seltene Geschöpf besichtigen wollten. Das war ein paar Stunden vor seiner beunruhigenden Konferenz mit dem jungen Tierheiler Talpan gewesen. Erst nach seinem Besuch in Süd-Boll und dem Anblick von Baron Ratoshigans kranken Rennknechten war Capiam klar geworden, wie kurz die Inkubationszeit der Krankheit war und wie heimtückisch sie um sich griff. Die Sorge um das Wohl von Pern hatte ihn bewogen, auf schnellstem Weg in die Heilerhalle 218
zurückzukehren - und der schnellste Weg war eben immer noch der Flug mit einem Drachenreiter. Sh'gall hatte sich angesteckt, aber, so sagte Capiam sich vor, er war jung und kräftig. Auch Ratoshigan war erkrankt, eine Tatsache, die Capiam beinahe als eine Art ausgleichende Gerechtigkeit empfand. Bei der Vielzahl menschlicher Charaktere war es einfach nicht möglich, alle Leute zu mögen. Capiam mochte Ratoshigan nicht; aber er sollte eigentlich keine Schadenfreude darüber empfinden, daß der Mann nun Seite an Seite mit seinen Knechten litt.
Wieder einmal schwor sich Capiam, mehr Toleranz und
Verständnis für die Kranken aufzubringen, wenn er sich erholt hatte. Wenn! Jawohl, wenn und nicht falls! Falls ... das klang so mutlos. Wie hatten die vielen tausend Patienten, die er in seiner langen Laufbahn als Heiler betreut hatte, die langen Stunden der Seelenerforschung überstanden? Capiam seufzte und spürte, daß sich in seinen Augenwinkeln Tränen sammelten: ein weiterer Beweis seiner entsetzlichen Schlaffheit. Wann würde er endlich wieder die Kraft zu konstruktivem Denken und Nachforschen aufbringen?
Es mußte eine Antwort geben, eine Lösung, eine Heilmethode, eine Therapie, eine Abhilfe, ein Mittel. Irgend etwas gab es
... irgendwo. Wenn es den Alten gelungen war, unvorstellbare Entfernungen zu überbrücken und aus gefrorenen Samen oder Embryos Tiere zu züchten, Drachen nach dem Muster der legendären Feuer-Echsen zu entwickeln, dann mußten sie auch in der Lage gewesen sein, Bakterien oder Viren zu bekämpfen, die sie selbst oder diese Tiere bedrohten. Es konnte nur eine Frage der Zeit sein, versicherte Capiam seinem müden Gehirn, bis man die entsprechenden Hinweise entdeckte. Fortine hatte die Aufzeichnungen durchforschen lassen, die in den Archiv-höhlen gestapelt lagen. Als er dann seine Leute in die Burgen und Höfe schicken mußte, um die überarbeiteten Gildegefährten abzulösen, hatte Tirone großmütig seine Harfner für diese 219
Aufgabe zur Verfügung gestellt. Die Harfner waren allerdings Laien auf dem Gebiet der Heilkunde, und wenn sie nun einen wichtigen Satz übersahen, weil sie die Bedeutung nicht erkannten oder falsch einschätzten ... Aber so gefährliche Dinge wie eine Epidemie wurden doch sicher nicht in einem einzigen Satz abgehandelt ...
Wann kam endlich Desdra mit der Suppe, damit er aufhörte, sich das Gehirn zu zermartern? »Hör auf zu jammern!« Seine Stimme war ein heiseres Krächzen, das ihn selbst erschreckte.
»Du benimmst dich wie ein grämlicher alter Mann! Dabei bist du am Leben! Wenn man eine Krankheit nicht heilen kann, muß man sie ertragen ... sich an sie gewöhnen ...«
Wieder drangen die Trommeln wie Hämmer in seine Gedanken. Die Botschaft kam von Keroon. Sie brauchten Medikamente. Heiler Gorby meld ete, daß seine Vorräte an Borrago und Akonit zur Neige gingen, daß er große Mengen Tussilago für die Bronchitis-Kranken und Stechpalme gegen Lungenentzündungen benötigte.
Neue Furcht durchzuckte Capiam.
Bei diesem unvorhergesehenen Bedarf an Arzneien gingen der Apotheke in der Heilerhalle sicher bald die Rohstoffe aus.
Die Zuchtbetriebe von Keroon, die viel mit Tierkrankheiten zu tun hatten, mußten eigentlich selbst in der Lage sein, sich zu versorgen. Aber Verzweiflung erfaßte ihn, wenn er an die kleineren Höfe dachte. Dort hatte man vermutlich nur ein paar Allerweltsmittel zur Hand, heimische Kräuter und Rinden, die man gelegentlich gegen Heilpflanzen aus anderen Gebieten tauschte ... Welche noch so tüchtige Hausfrau würde sich mit Vorräten eindecken, die für eine Epidemie reichten?
Dazu kam, daß die Krankheit während der kalten Jahreszeit zugeschlagen hatte. Die meisten Arzneipflanzen pflückte man während der Blüte, wenn sie ihre Heilkraft am stärksten entfalteten. Die Wurzeln und
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