Perry Clifton und das Geheimnis der weißen Raben
gestellt hat, lachen sie beide wie auf Kommando. Dann antwortet Lenderson:
„Ein waschechter Schotte sogar. Ich stamme aus einem kleinen Nest in der Nähe von Dundee.“
Dicki ist so leicht nicht aus der Ruhe zu bringen. Mit dem Zeigefinger tippt er auf Lendersons Hose: „Und warum tragen Sie dann keinen Rock?“
„Den trage ich nur zu ganz bestimmten Anlässen. Außerdem heißt das nicht Rock, sondern Kilt.“
„Stimmt, das habe ich schon gehört.“
„Weißt du auch, daß man von den Farben und Mustern der Kilts und Tartans auf die Sippe schließen kann?“
Dicki schüttelt ziemlich kleinlaut den Kopf. „Was ist ein Tartan, Mister Lenderson?“
„Das ist die Decke, die man über der Schulter trägt.“
„Jetzt weiß ich, was Sie meinen“, gibt Dicki plötzlich lebhaft zu, während vor seinem geistigen Auge eine Schar röcketragender Dudelsackpfeifer auftaucht, die über der linken Schulter eine karierte Decke tragen. Und er weiß jetzt auch, wo er sie gesehen hat. Es war im letzten Jahr zum Geburtstag der Königin. „Können Sie auch Dudelsack spielen?“
„Ein bißchen schon. Daß es nur ein ,bißchen’ ist, liegt daran, daß ich nicht sonderlich musikalisch bin.“ Lenderson unterstreicht diese Feststellung mit bedauerndem Achselzucken.
„Sagen Sie, Tommy“, wendet sich Perry an ihn, „wie steht es mit den Gästen auf Schloß Catmoor? Sind viele da?“
„Viele?“ Tommy Lenderson lacht kurz und hart auf. „Da können Sie ganz unbesorgt sein. Kein anderer Gast wird Ihre Ruhe stören.“
Perry Clifton gibt sich unwissend: „Das verstehe ich nicht. Mein Freund Walker hat mir gesagt, daß fast immer Gäste auf Catmoor seien.“
Um Lendersons Mundwinkel zuckt es. Er wirft Clifton einen raschen Seitenblick zu, bevor er erwidert:
„Das war einmal. Und es ist schon eine ziemliche Zeit her… Ich…“Lenderson bricht ab und beißt sich auf die Lippen, als wolle er sich selbst bestrafen, daß er schon zu viel gesagt habe.
„Warum sprechen Sie nicht weiter?“ dringt Perry Clifton in ihn, doch der Chauffeur winkt ab.
„Ich habe schon zu viel gesagt. Es ist besser, wenn Sie von anderer Seite informiert werden…“
„Na gut“, gibt sich Perry zufrieden und lehnt sich stillvergnügt in die Polster zurück. Dicki hat längst das gleiche getan. Für ihn bringt die Fahrt so viele neue Eindrücke, daß er gar keine Zeit hat, auf die Unterhaltung der beiden Männer zu achten. Noch nie zuvor sah er so viele Wiesen und Hügel und so viel Heide. Und wenn der Weg manchmal durch ein besonders romantisches Tal führt, kommt er sich vor wie in einem Märchen…
Ankunft und erstes Rätsel auf Schloß Catmoor
Als der Wagen gegen 8 Uhr 20 den Kamm einer kleinen Hügelkette erreicht, sehen sie zum erstenmal in der Ferne die beiden spitzen Rundtürme, die den Nord- und Südteil von Schloß Catmoor begrenzen.
Um 9 Uhr 10 fahren sie in den Schloßhof ein, wo Tommy Lenderson den Wagen nach einer weiten Schleife vor dem Hauptportal zum Stehen bringt.
Während der Chauffeur die Koffer aus dem Fond holt, stehen Perry Clifton und Dicki Miller neben dem Fahrzeug und betrachten tief beeindruckt die Fassade des jahrhundertealten Bauwerkes. Schloß Catmoor gehört zu den kleinsten gotischen Schlössern Nordschottlands und wurde einst von Lester Mackintess erbaut. Außer den spitzen Rundtürmen unterscheidet es sich auch im Grundriß von den anderen schottischen Schlössern. Nord- und Südflügel stehen im rechten Winkel zueinander und ergeben somit einen offenen Schloßhof, der an der östlichen Seite von einer zwei Meter hohen Mauer aus grauen Sandsteinquadern begrenzt wird. Der Haupteingang wird von zwei behauenen Säulen verziert, die sich nach oben verjüngen und in der Begrenzung eines gotischen Spitzfensters auslaufen. Die dicke, zweiflügelige Tür ist aus Eiche und von oben bis unten mit geschnitzten Ornamenten versehen.
Tommy Lenderson tritt an die beiden stumm Dastehenden heran und zeigt auf den Südturm. „Wenn man ganz hinaufklettert in das oberste Turmzimmer, kann man bei gutem, klarem Wetter bis nach Grantown sehen.“
„Wohnt da jemand drin, Mister Lenderson?“ will Dicki wissen.
„Nein, beide Türme sind unbewohnt. Der Nordturm soll früher ein Nistplatz für Raben gewesen sein. Ob das allerdings stimmt, weiß keiner.“
„Und wo wohnen die Everbridges?“
Lenderson weist auf den Südteil des Schlosses. „Hier, der hintere Trakt ist nur für die Gäste… wenn welche da sind“,
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