Perry Rhodan Neo 028 - Flucht ins Dunkel
der zivilisierten Welt hatte er sich nie vollständig anfreunden können. Einzig die kleine Positronik, die er seit Kindertagen am Handgelenk trug, war ihm ein wirklicher Nutzen – und sie hatte ihren Dienst längst aufgegeben. Gihl-Khuan scherte sich nicht darum. Einem uncharakteristischen Anflug von Nostalgie nachgebend, kommunizierte er in seiner Phantasie noch immer mit dem irreparabel zerstörten Gerät. Es hatte ihn gewissermaßen aufgezogen, damals auf Buntayn, war ihm eine gefühlte Ewigkeit lang Eltern und Mentor gewesen, ein Freund in der Einsamkeit.
Ohne die Positronik hätte er nach dem Absturz des Raumschiffs nämlich keine zwei Mondwechsel überlebt, das wusste er. Entweder wäre er dem Hunger oder dem Wahn zum Opfer gefallen. Doch das kleine Armband und dessen zwar begrenzter, dennoch unschätzbar wertvoller Datenspeicher hatten ihn alles gelehrt, was er brauchte, um durchzuhalten, bis die Retter kamen: Autarkie. Stärke. Topsidische Werte. Es mochte inzwischen so »tot« sein wie die restliche Besatzung des Unglücksschiffes von Buntayn, doch es blieb sein Vertrauter. Der Einzige, den Gihl-Khuan hinter der Fassade des Jägers tolerierte.
Megh-Takarr hatte Gihl-Khuan, den Jungen aus der Wildnis, damals zwar zurück in die topsidische Gesellschaft geholt, aber die Armbandpositronik war alles, was er an »Familie« brauchte und wollte. Alles, was er je besessen hatte.
Die Stunden vergingen, und die Fahlen Brüder, wie die Einheimischen die Monde ihrer Welt nannten, zogen ihre Bahnen am Firmament. Sie scherten sich nicht um Explosionen und flüchtige Huren. Der Jäger hielt Augen und Ohren offen, für die direkte und die medial zugespielte Umwelt, verkörperte äußerlich aber gekonnt seine Rolle. Er grüßte hier, lauschte dort künstlerischen Darbietungen und verhielt sich ganz wie die anderen Nachtschwärmer.
Denn die Menge war trotzig. Sie bot den tragischen Entwicklungen die Stirn, ließ sich das Fest nicht von ein paar Unzufriedenen und ihren Sprengsätzen verderben. Noch immer verzierten die traditionell durch die Straßen ziehenden Mondwanderer die Haustüren mit drei Kreidekreisen, dem Zeichen des Dreimondfestes. Das Leben, so sagte jede ihrer Handlungen, jeder noch immer Feiernde durch seine stoische Ruhe, bot dem Tod die schuppige Stirn. Wenigstens in dieser besonderen Nacht.
Je näher er dem Getto kam, desto mehr wich die als Courage empfundene Sturheit Kerh-Onfs allerdings dennoch einer schizophrenen Melange aus Angst und nervöser Erwartung. Er sah es in den Augen und Gesten derer, die er passierte. Die Straßen in dieser Gegend waren merklich leerer, und hier und da machte Gihl-Khuan bereits Gebäudeschäden aus, klafften Löcher in Altbauwänden, die es am Nachmittag noch nicht gegeben hatte.
Die »Kaltblütigen«, das wusste er, traten für Mäßigung in der Außenpolitik ein. Ihrer Ansicht nach führte die aggressive Expansion des Despotats Topsid in den Untergang. Bis vor nicht allzu langer Zeit waren sie nur ein kleines Häuflein belächelter oder verachteter Verrückter gewesen. Doch dann hatte Megh-Takarr die Invasion des Wega-Systems angeordnet – aus unerfindlichen Gründen. Die Ferronen, Säugetiere, die den Arkoniden ähnelten, waren technologisch zurückgeblieben. Sie besaßen nichts, was Topsid genützt hätte. Der Despot hatte sich gegen seinen Stab durchgesetzt. Die Invasion hatte ein besseres Manöver für die Flotte darstellen sollen. Doch sie war gescheitert, und die Flotte war dezimiert und demoralisiert zurückgekehrt. Seitdem gärte es im Despotat. Bis sich in dieser Nacht die Spannung in einem bewaffneten Aufstand entlud ...
Überall waren jetzt Sicherheitsleute. Die Uniformierten, die in klobigen, mit silbernen Brust- und Schulterstücken versehenen Kampfanzügen steckten, standen an den Ecken und schritten durch die Menge. Zwar konnte Gihl-Khuan nicht durch ihre verspiegelten Helmvisiere blicken, wusste aber, dass den Männern und Frauen des Despoten keine Auffälligkeit entging.
Vorsorglich trat er ein wenig mehr in die Schatten.
Ausgerechnet dort holte ihn der Aufstand ein.
»Herr ...«
Die Stimme drang so leise an sein Ohr, dass er sie anfangs für eine neue Ausgeburt seiner Phantasie hielt. Erst als sie erneut erklang, blieb er stehen und spähte ins Dunkel.
Die schmale Gasse, an der er vorüberschlenderte, war nahezu pechschwarz. Weder Fackel- noch Mondschein erhellte die kaum drei Schritt breite Passage zwischen der leer stehenden
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