Perry Rhodan Neo 6: Die dunklen Zwillinge (German Edition)
noch schlafen. Die Luft war abgestanden und roch nach herbem Schweiß. Sue richtete sich auf. Ihre Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit. Zu ihrer Rechten erkannte sie das Bett des Generals. Sie schlich sich an.
Es war leer.
Wo war ...?
Starke Hände packten sie von hinten, hielten sie fest. Sue heulte in einem Schrei auf, in dem sich Überraschung und Schmerz vermischten.
Eine tiefe Stimme sagte auf Englisch: »Wer bist du, Mädchen? Und was hast du in meinem Zelt verloren?«
»I... ich bin Sue ...« Ihr schlug das Herz bis zum Hals. Erwischt! Sie hatten sie erwischt! Sie schluckte und sagte laut und so fest sie konnte: »Ich will mit General Bai Jun sprechen!«
»Tatsächlich? Und wieso schleichst du dich dann wie eine Attentäterin in mein Zelt?«
Der General! Es war der General!
»Meine Offiziere sind angewiesen«, fuhr die Stimme fort, »Zivilisten anzuhören. Du hättest ihnen dein Anliegen vortragen können. Sie hätten es mir mitgeteilt.«
Sue schüttelte den Kopf. »Das ging nicht! Wir haben keine Zeit!«
Der Griff des Generals war fest. Sue war, als könne Bai Jun sie mit einer Bewegung entzweireißen, wenn es ihm in den Sinn kam.
Eine Hand gab sie frei. Der General schnippte mit dem Finger. Sanftes, indirektes Licht ging an. Er drehte Sue um, hob sie auf seine Augenhöhe.
Bai Jun hatte Schlitzaugen wie alle Chinesen, die Sue bisher gesehen hatte. Aber seine Haut war dunkler, und er trug eine Uniform, als hätte er mit nächtlichem Besuch gerechnet.
»Eine kleine Amerikanerin«, sagte er leise. »Was will ein Kind mir Wichtiges mitteilen?«
»Ich bin kein Kind!«
Der Blick des Generals fiel auf den Armstumpf Sues. Mitleid glomm in seinen Augen auf. »Das sehe ich«, sagte er leise. »Aber es vereinfacht die Angelegenheit. Wenn du kein Kind bist, Mädchen, kann ich dich der herkömmlichen Militärgerichtsbarkeit übergeben. Nicht wahr?«
»Nein!« Sue bäumte sich auf. »Das dürfen Sie nicht! Ich will Ihnen helfen!«
»Du willst mir helfen, kleines Mädchen? Wie das? Mir scheint, dass du es bist, die dringend Hilfe braucht.«
»Er ist ein Verräter!«, stieß Sue hervor. »Ihr Adjutant ist ein Verräter!«
Das Lächeln gefror. »He Jian-Dong? Was ist mit ihm?« Die Finger des Generals bohrten sich tiefer in das Fleisch unter ihren Achseln.
Sue schluckte den Schmerz hinunter. »Der Geheimdienst hat ihn überredet, Atomsprengköpfe unter dem Energieschirm zu deponieren. Sie zünden in weniger als einer Stunde!«
Bai Jun musterte Sue schweigend. »Atomsprengköpfe ... Woher willst du davon wissen?«
Weil John es in seinen Gedanken gelesen hat!, wollte Sue brüllen. Aber das war unmöglich. Der General hätte es ihr nie geglaubt. Sie zischte trotzig: »Ich weiß es eben!«
»Du weißt es eben ... also gut. Hast du einen Beweis? Wo sind die Sprengköpfe?«
»In einem Tunnel!«
»In welchem? Es gibt Hunderte davon.«
»Ich ... ich weiß es nicht.« Sue spürte, dass mit diesem Eingeständnis ihre letzte Chance zunichte war. Aber eine Lüge hätte sie nicht weitergebracht. Sie hatte keinen Beweis. Aber hatte sie wenigstens etwas zu bieten, was den General würde aufhorchen lassen ...?
Ein Gedanke kam ihr. »Ihre Armee!«, rief sie.
»Was ist damit?«
»Sie zieht ab! Ihr Adjutant hat es befohlen, um sie vor der Explosion in Sicherheit zu bringen!«
Bai Jun erstarrte. Sein väterliches Lächeln gefror. Der General setzte sie mit einer Sanftheit, die Sue überraschte, auf dem Bett ab und zog einen Pod aus der Tasche. Seine Finger huschten über den Touchscreen, riefen Statusmeldungen ab. Die Pupillen des Generals weiteten sich. Er sah auf. »Du rührst dich nicht vom Fleck, Mädchen. Verstanden?«
Sue nickte.
Der General hob den Pod ans Ohr und rief seinen Adjutanten an. Wenige Minuten später trat He Jian-Dong in das Zelt und salutierte. Seine Uniform und seine Haltung waren so makellos wie vor wenigen Stunden draußen in der Wüste, aber seine herrische Art war verschwunden. Hier war Bai Jun der Herr und der Adjutant der Diener.
»He Jian-Dong, kennst du dieses Mädchen?«, fragte der General auf Englisch. Der Adjutant betrachtete Sue mit einem kühlen, abschätzigen Blick, als entscheide er über die Anschaffung eines Möbelstücks. »Nicht, dass ich wüsste. Sollte ich?«
»Das Mädchen sagt, sie kennt dich. Sie behauptet, du wärst ein Verräter.«
He Jian-Dong war ungerührt. »Diese Rhodan-Anhänger sind zu jeder Schandtat bereit, um sich einen Vorteil zu verschaffen«,
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