Persilschein
Schnittes verschmutzt. Dort ist momentan nichts zu erkennen. Aber an den Unterarmen finden sich kleine blassrote Flecken, die sich nur unvollständig wegdrücken lassen. Der Rigor Mortis …«
»Der was?«, fragte Schönberger.
»Totenstarre. Sie ist vollständig ausgebildet und lässt sich nicht lösen. Beide Indizien sprechen für einen Todeszeitpunkt, der wenigstens zwölf Stunden, vermutlich aber länger zurückliegt. Ich tippe auf mindestens einen Tag. Die Todesursache jedoch ist eindeutig: glatte Wundränder, klaffende Wunde, kein Probierschnitt. Die Tiefe des Schnitts reicht fast bis zur Wirbelsäule. Mord, ohne jede Frage. Der Schnitt verläuft von rechts oben nach links unten. Das bedeutet, der Täter hat das Messer mit der linken Hand geführt und von hinten geschnitten.«
»Linkshänder?«, warf Goldstein ein.
»Mit großer Wahrscheinlichkeit.« Der Mediziner machte einen Schritt auf die Polizisten zu. »Haben Sie eine Zigarette für mich? Ich habe meine im Auto liegen gelassen.«
Schönberger reichte ihm eine und gab Gerber Feuer.
»Danke.« Der Rechtsmediziner nahm einen Zug. »Sie sehen ja das verfärbte Erdreich. Das Blut ist trotz des Regens der letzten Tage noch deutlich zu erkennen. Die Tat wurde zweifellos hier verübt. So, das ist im Moment alles, was ich Ihnen sagen kann. Näheres in meinem Bericht.« Er klemmte die Zigarette in den Mundwinkel, bückte sich, hob die Decke auf, schüttelte sie sorgfältig aus, faltete sie zusammen und verstaute sie in seiner Tasche. Dann deutete er mit seiner rechten Hand einen militärischen Gruß an und ging wortlos.
Goldstein rief einen der Uniformierten zu sich. »Der Tote kann jetzt abtransportiert werden. Und lassen Sie den Tatort reinigen.«
3
Freitag, 22. September 1950
Kriminalrat Wilfried Saborski sah sich erstaunt im Salon der Villa um. »Wo sind denn die anderen Gäste?«
»Du bist der einzige.«
»An der Feier zu deinem siebzigsten Geburtstag nehme nur ich teil? Haben deine Freunde abgesagt?«
»Nein. Ich habe sie nicht eingeladen.«
»Warum nicht, wenn ich fragen darf?«
»Ich wollte mich ungestört mit dir unterhalten.« Wieland Trasse hob den Champagnerkelch. »Aber zunächst lass uns anstoßen.«
»Gerne. Auf dich! Herzlichen Glückwunsch.« Saborski ließ das prickelnde Getränk über die Zunge laufen.
Für einen Moment standen sich die beiden Männer schweigend gegenüber.
Wieland Trasse, Besitzer mehrerer Kaufhäuser im Ruhrgebiet, wirkte trotz seinen Alters noch immer drahtig und gesund. Sein Anzug saß perfekt und seine Art zu sprechen verriet, dass er es gewohnt war, Befehle zu erteilen. Trasse verkörperte den Typus Mensch, der sich seiner gesellschaftlichen Stellung sehr wohl bewusst war: Elite. Geldadel. Reich geworden mit fragwürdigen Geschäften vor, während und auch nach dem Krieg. Aber jetzt hatte er ein Problem. »Sie haben mich vor den Entnazifizierungsausschuss zitiert.«
Saborski lachte auf. »Wundert dich das? Ich hatte dich gewarnt, dass es entsprechende Überlegungen gab. Du hast dir in deinem Leben zu viele Feinde gemacht.«
»Ich nahm an, dieser Kelch würde an mir vorübergehen.«
»Warum sollte es dir anders ergehen als mir?«
»Du musstest dir doch keine Sorgen machen. Die Briten benötigten nach dem Krieg tüchtige Polizisten. Unsere junge Republik ebenso.«
»Kaufleute werden auch gebraucht.«
»Sicher.«
Sie tranken wieder. Dann zeigte Trasse auf die Sitzgruppe in einer großen Nische vor den Fenstern. »Lass uns dort hinübergehen.«
Die schweren, mit dunkelbraunem Leder bezogenen Sessel standen in einem Kreis um den runden Tisch, über dem ein Lampenschirm aus Meißner Porzellan hing. Ein dicker Teppich dämpfte jeden Schritt. An den Nischenwänden hingen Ikonenmalereien in verschiedenen Größen. Der Kriminalrat wusste, dass sie echt waren. Kriegsbeute.
Trasse griff den Sektkühler und trug ihn zu einem Beistelltisch. Er wartete, bis sich sein Gast gesetzt hatte, und nahm danach ebenfalls Platz.
»Wann ist es denn so weit?«, fragte Saborski.
»Übernächste Woche. Ich möchte von dir wissen, wie das Verfahren abläuft, um mich vorbereiten zu können.«
»Die Ausschüsse sind mit Vertretern der SPD, KPD und CDU besetzt, wobei die Christlichsozialen in Herne in der Minderheit sind. Sie befragen dich nach deiner Tätigkeit im Dritten Reich und holen gegebenenfalls Zeugenaussagen ein. Hast du dir eidesstattliche Erklärungen besorgt?«
»Persilscheine? Jede Menge.«
»Gut. Sind
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