Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten
angeboren ist.
Insgesamt gehen viele Persönlichkeitspsychologen von einer Umweltabhängigkeit der Intelligenz aus, die bei 20 IQ-Punkten liegt. Dies scheint niederschmetternd wenig zu sein, ist es aber beim zweiten Hinsehen nicht. Nehmen wir als fiktives Beispiel eine Person, die genetisch eine durchschnittliche Intelligenz besitzt und durchschnittlich gefördert wird. Diese Person wird im Erwachsenenalter definitionsgemäß einen IQ von 100 haben. Wird sie minimal intellektuell gefördert, so erreicht sie später einen IQ von nur 90, bei dem ein Mensch schon etwas dümmlich wirkt. Bei optimaler Förderung kann sie hingegen einen IQ von 110 erreichen, der etwa dem Durchschnitt der deutschen Abiturienten entspricht. Relativ geringe Abweichungen vom Mittelwert ergeben also bereits deutlich wahrnehmbare Unterschiede in der Intelligenz, was damit zusammenhängt, dass die Masse der Individuen mit ihrem IQ zwischen 90 und 110 liegt und dasjenige, was wir unter »normaler Intelligenz« verstehen, sich in einem ziemlich engen Bereich bewegt. Dies bedeutet auch, dass Umwelteinflüsse und Erziehung bei der geistigen Entwicklung durchaus eine Chance haben, auch wenn Intelligenz hochgradig angeboren ist.
Wie sieht es im Rahmen der Frage nach »Anlage oder Umwelt« bei anderen Persönlichkeitsmerkmalen wie Aufgeschlossenheit, Kreativität, Zutrauen zu sich selber, Einfühlungs- und Durchhaltevermögen aus? Aus Untersuchungen an getrennt aufgewachsenen eineiigen Zwillingen ergeben sich für diese Merkmale Korrelationskoeffizienten, die niedriger sind als beim Intelligenzquotienten, aber immer noch um 0,5 liegen, also einen mittelstarken Zusammenhang aufweisen. Wir müssen aufgrund dieser Forschungsergebnisse davon ausgehen, dass die Merkmale Aufgeschlossenheit, Kreativität und Zutrauen zu sich selber ebenfalls nur in geringem Maße von der Umwelt abhängen.
Eine wichtige Einschränkung muss aber gemacht werden, nämlich dass die Aussagen aufgrund der Zwillingsforschung über die genetischen Grundlagen von Persönlichkeitseigenschaften nicht diejenigen Umwelteinflüsse berücksichtigen (und dies auch nicht können), die vor der Geburt stattfinden und wahrscheinlich erheblich sind, wie wir bereits gehört haben. Werden eineiige Zwillinge getrennt, so geschieht dies überdies meist ja nicht unmittelbar nach der Geburt, und die kurze gemeinsame Zeit gibt der Umwelt die Möglichkeit zur Einwirkung.
Zusammenfassend kann man feststellen, dass die Persönlichkeitspsychologie das Temperament als Kern der Persönlichkeit ansieht und für hochgradig genetisch determiniert hält. Um diesen Kern gruppieren sich dann bestimmte, den »big five« zugeordnete Persönlichkeitsmerkmale, die teils genetisch oder hirnentwicklungsmäßig bedingt (darüber im nächsten Kapitel mehr), teils frühkindlich geprägt sind und sich in ihrer individuellen Ausprägung früh stabilisieren. Ein bedeutsamer Faktor ist neben der noch weitgehend unerforschten vorgeburtlichen Erfahrung die Bindungserfahrung zwischen Säugling bzw. Kleinkind und Mutter, die zugleich das spätere partnerschaftliche Bindungsverhalten stark beeinflusst. Es kommt zugleich zu einem »transgenerationellen« Transfer der frühkindlichen Bindungserfahrung auf die Beziehung zu den eigenen Kindern. Erfahrungen im späteren Kindes- und Jugendalter haben einen abnehmenden Einfluss auf die Formung der Persönlichkeit. Ein hochgradig genetisch determiniertes Persönlichkeitsmerkmal ist die Intelligenz, wie Intelligenz-Tests sie messen und durch einen »Intelligenz-Quotienten« ausdrücken. All dies widerspricht eindeutig dem immer noch vorherrschenden allgemeinen Erziehungsoptimismus.
KAPITEL 2
Ein Blick in das menschliche Gehirn
Der allgemeine Aufbau
Die Grundauffassung der modernen Hirnforschung lautet, dass alles, was wir sind und tun, unabtrennbar mit den Strukturen und Funktionen unseres Gehirns zu tun hat, und das gilt natürlich auch für die Persönlichkeit und die aus ihr sich ergebende Entscheidungs- und Handlungsstruktur eines Menschen, und damit auch für die Verankerung der Persönlichkeit im Gehirn. Dies erfordert es, dass wir uns über den Bau und die Funktion des Gehirns kundig machen, und das soll in diesem Kapitel geschehen.
Das menschliche Gehirn – so heißt es häufig – sei das komplizierteste System im Universum. Diese Behauptung ist allerdings nicht nachprüfbar, denn niemand kennt das Universum und was seine Tiefen alles verbergen. Außerdem ist noch
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