Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten
auf den Magen, die Angst schnürt uns die Kehle zu, der Schrecken fährt uns in die Glieder. Diese Gefühlswelt ist unglaublich vielfältig, aber dasselbe trifft für die Welt der Gedanken, Wünsche, Vorstellungen und Erinnerungen zu. Wir sind eine Unmenge verschiedener Erlebniszustände.
Und doch scheint es eine Konstante in diesem Wirrwarr zu geben: Das Ich . Ein Blick in den Spiegel oder auf ein vergilbtes Foto sagt mir (in aller Regel!): Das bin ich! Ich wache morgens auf und weiß (in aller Regel!), wer ich bin, und meist weiß ich (zuweilen mit einiger Verzögerung), wo ich bin. »Ich bin ich – wer sonst!« Denken wir aber darüber nach, wer oder was dieses Ich eigentlich ist, dann werden wir nicht fündig. Es sind Fetzen von Selbsterkenntnis, vermischt mit Aussagen von anderen über uns. Wir reflektieren über unsere Gefühle, Wünsche, Gedanken, Vorstellungen, Erinnerungen und Verhaltensweisen und scheinen uns dabei im Kreise zu drehen, denn diese Bereiche sagen uns jeweils etwas Verschiedenes über uns, aber nichts eigentlich Fassbares. Nach langem Nachdenken und in der Nachfolge des Nachdenkens vieler berühmter Leute über sich selbst kommen wir zu zwei wichtigen Erkenntnissen: Wir sind nicht ein Ich, sondern mehrere Ich-Zustände, die sich aufeinander beziehen. Und: Wir sind uns selber undurchdringlich . Das Ich kann sich nicht oder nicht gründlich (d. h. auf den Grund) durchschauen!
Schon die erste Erkenntnis, nämlich dass wir viele bewusste Ich-Zustände sind, ist auf den ersten Blick beängstigend, wird aber durch psychologische bzw. neuropsychologische Untersuchungen bestätigt. Es gibt ins uns in der Tat ganz unterschiedliche Bewusstseinszustände, die jeweils mit einer Ich-Vorstellung verbunden sind. Hierzu gehören (1) die Wahrnehmung von Vorgängen in der Umwelt und im eigenen Körper (»ich nehme wahr bzw. empfinde gerade das und das«); (2) mentale Zustände wie Denken, Vorstellen und Erinnern (»ich denke, erinnere mich, stelle mir gerade dies oder jenes vor«); (3) Bedürfniszustände, Affekte, Emotionen (»ich habe Hunger, bin müde, fürchte mich«); (4) das Erleben der eigenen Identität und Kontinuität (»ich bin der, der ich gestern war«); (5) die »Meinigkeit« des eigenen Körpers (»dies ist mein Körper«); (6) die Autorschaft der eigenen Handlungen und mentalen Akte (»ich will bzw. habe gewollt, was ich gerade tue«); (7) die Verortung des Selbst und des Körpers in Raum und Zeit (»es ist Samstag, der 20. 1. 2007, und ich befinde mich gerade in X.«); (8) die Unterscheidung zwischen Realität und Vorstellung (»was ich sehe, existiert tatsächlich und ist kein Traum oder Wahn«); und schließlich (9) das selbst-reflexive Ich (»wer oder was bin ich eigentlich? Was tue ich da, und warum?«).
Wie kommen Psychologen bzw. Neuropsychologen zu diesen Unterscheidungen? Der Grund hierfür liegt in der Tatsache, dass bei Patienten einzelne solcher bewussten Ich-Zustände selektiv , also ohne Beeinträchtigung der anderen Ich-Zustände, ausfallen können. Das heißt, es gibt Patienten, die nicht wissen, wer sie sind, oder die das Gefühl haben, sie steckten im »falschen Körper«, die aber ansonsten keinerlei geistige oder psychische Störungen aufweisen, also nicht irgendwie verrückt sind. Diese verschiedenen Ich-Zustände bilden funktionale Einheiten oder Module , und deshalb spricht man von einer Modularität der Ich-Zustände. Wie wir sehen werden, ist dies dadurch verursacht, dass unterschiedliche Gehirn-Systeme den unterschiedlichen Ich- und Bewusstseinszuständen zugrunde liegen.
Diese Erkenntnis ist übrigens nicht neu, sondern der berühmte schottische Philosoph und Psychologe David Hume (1711 – 1776) hat bereits in seinem Werk »A Treatise Concerning Human Nature« die Anschauung vertreten, wir seien nur ein »Bündel von Ich-Vorstellungen«. In der Tat: Wenn wir uns ganz genau beobachten, so entdecken wir, dass wir ein Auf und Ab ganz unterschiedlicher ich-bezogener Bewusstseinsinhalte sind. Einmal dominiert die körperliche Empfindung, dann das denkende oder das furchtsame Ich oder das Handlungs-Ich. In der buddhistischen Meditation lernt man, sich von diesen konkreten Ich-Zuständen zu befreien – man ent-individualisiert sich. Heute wissen wir durch Registrierungen der Hirnaktivität, dass diese »ozeanische Entgrenzung« mit einer Senkung der Aktivität des Parietalcortex einhergeht.
Das Ich ist also gar keine einheitliche Instanz, sondern ein Attribut,
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