Pesch, Helmut W.
Füßen, tief unter ihnen, die Essen und Schmieden des Schwarzalbenvolkes, in denen rot glühendes Eisen durch Rinnen und in Formen floss, um von schweren Kränen in Position gehievt und von den geschäftigen, zwergenhaf-ten Arbeitern mit Hämmern und Pressen in Formgebracht zu werden. Von hier kamen die dumpfen Schläge, die vor dem Tor der Halle zu hören gewesen waren.
Dann erblickte Hagen den Thron und hatte von diesem Moment nur noch Augen für den Herrschersitz des Albenkönigs.
Der Thron befand sich auf der gegenüberliegenden Stirnseite. Er schien aus der Wand der Halle herausgemeißelt zu sein und ragte weit in den Saal hervor. Auf vier gedrehten Säulen, die in Schlan-genköpfen endeten, erhob sich eine steinerne Kuppel, die aus einem einzigen dunklen Kristall geschnitten war, mächtig und leicht zugleich, und auf ihr lastete eine schwere eiserne Krone, in der ge-schliffene Kristalle den Schein der Lampen in schillernden Farben zurückwarfen. Sie sahen aus wie Diamanten, doch gewiss hatte es nie Edelsteine von solcher Größe gegeben. Der Thron war über drei Fluchten von jeweils neun Stufen zu erreichen; auf jedem der Absätze standen Swart-alfar in voller Rüstung, mit gezückten Waffen. Doch das größte aller Kunstwerke war der Thron.
Er war aus einem Stein so schwarz wie die Nacht, der das Licht selbst in sich aufzusaugen schien. Schattengleich ragte er auf, mit mächtigen Schwingen, einem Kamm mit scharfen Graten und Zacken, welcher sich zu einem Echsenhaupt emporschwang, das stolz und anklagend zugleich gen Himmel gerichtet war. Doch keine Echse dieser Art war je in den Biologiebüchern verzeichnet gewesen. Es war ein Drache, eine steingewordene Legende, furchteinflö-
ßend und schön zugleich.
Auf dem gewaltigen Thron saß einer, der sich fast in der aus Fels gemeißelten Pracht verlor. Auf den ersten Blick glaubte Hagen, dass er sich kaum von den anderen Swart-alfar abhob, aber je näher er kam, desto augenfälliger wurden die Unterschiede zwischen dem König und seinem Volk.
Der Herr der Swart-alfar saß still wie der Stein, aus dem sein Thron gehauen war, und schien mit jedem Schritt mächtiger anzu-wachsen. Ein wallender, nachtdunkler Bart fiel ihm auf die Brust, und seine schwarze Mähne wurde von einem goldenen Reif gebändigt, den er anstelle einer Krone trug. In seiner Rechten hielt er eine gewaltige Axt mit einem breiten geschwungenen Blatt.
Hagen glaubte zunächst, einem jungen Mann gegenüberzutreten, aber mit jedem Schritt, der ihm den Thron näher brachte, wurden die Zweifel größer. Die ungebeugte Haltung, das nachtdunkle Haar täuschten. Das Gesicht des Herrschers der Schwarzalben war nicht das eines forschen Draufgängers, sondern das eines alten und weisen Mannes. Aber die Augen straften diesen Eindruck Lügen. Als Hagen den Blick dieser Augen auffing, schauderte es ihn.
Sie waren schwarz wie die Nacht und tief, abgrundtief wie ein Brunnen am Ende der Welt. Und in der Tiefe der nachtdunklen Pupillen brannte ein wildes Feuer, geboren aus Leidenschaft und Zorn.
Sie waren am Fuß des Throns angekommen. Nur noch ein halbes Dutzend Schritte trennten sie von der Gegenwart des Herrschers.
»Bleib stehen! Verneige dich!«, zischte Mîm an seiner Seite. »Beuge dein Knie vor Alberich dem Nibelungen!«
Hagen senkte den Kopf, um den Bann jener Augen zu brechen, dann ließ er sich auf ein Knie nieder – es war das Einzige, was ihm in diesem Moment richtig und angemessen erschien – und richtete sich wieder auf.
Alberich musterte ihn schweigend. Hagen vergaß, dass sich viele Dutzend der Untertanen des Königs mit ihm zusammen in der Halle aufhielten. Für ihn gab es nur noch sich und den Herrn der Swart-alfar.
»Nun Midgard-Knabe«, begann der König mit einem tiefen Bass.
»Wie ist dein Name?«
»Ich bin Hagen«, antwortete der Junge, ohne auch nur einen Augenblick zu überlegen.
Für einen Augenblick flammte ein dunkles Feuer in den schwarzen Augen auf. Wieder hielt ihn dieser durchdringende Blick Alberichs gebannt, wie ein Strahl, der ihn erfasste und nicht mehr losließ. Hagen glaubte, direkt vor dem König zu stehen, und hatte das Gefühl, als könnte dieser direkt auf den Grund seiner Seele schauen.
»Etwas brennt in dir«, sagte Alberich nachdenklich. »In dir lodert ein Feuer, ein wilder Wunsch und – Hass …«
Hagen krümmte sich wie unter einem Peitschenhieb, als er erkannte, dass Alberich seine Gedanken gelesen und seine geheimen Wünsche, Hoffnungen und
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