Pesch, Helmut W.
Stimme übertönte mühelos den Lärm der Menge.
»Dies ist mein Gebot: Kleidet diesen Knaben wie einen Prinzen unseres Volkes, gebt ihm ein Schwert und seht in ihm den Erben der Nibelungen!«
Hagen stand wie benommen neben dem König und musste erleben, wie Mîm neben ihm auf die Knie fiel.
Ehrfurchtsvoll traten einige Frauen näher heran. Sie neigten ihre Häupter vor Hagen.
»Folgt uns bitte, Herr«, baten sie.
Hilflos sah Hagen zu Alberich, der ihm aufmunternd zunickte.
Doch in den Augen des Königs sah er etwas glimmen, gegen das sein eigener Hass und Zorn nicht mehr war als ein kleines Flämm-chen gegen ein alles versengendes, unauslöschliches Feuer …
5
Die Verborgene Königin
»Kommt!«, forderte Laurion sie auf. »Folgt mir in die Stadt der Verborgenen Königin.«
Siggi und Gunhild lösten sich aus dem schmalen Gang, der sie hierhergeführt hatte, und dann folgten sie zögerlich dem Lichtalben. Den Schluss bildete der Graue.
Im ersten Augenblick sahen Siggi und Gunhild überhaupt nichts, so hell war das Licht im Vergleich zu dem in den Gängen und Grotten. Aber als ihre Augen sich allmählich an die Helligkeit ge-wöhnten, waren sie vom Glanz dessen was vor ihnen lag, überwältigt.
Es war ein großer Felsendom, im dem die Lios-alfar eine richtige Stadt erbaut hatten. Die Ankömmlinge standen erhöht über den Dächern dieser Stadt, die sich zu Türmen und geschnitzten Giebeln emporschwangen, bis sie sich im Dämmer der gewaltigen Kuppel verloren. Eine breite Treppe führte hinunter zu den Straßen, wo man hell gekleidete Gestalten ausmachen konnte, die ihren Geschäften nachgingen.
Das Licht kam hier nur zu einem geringen Teil aus den Wänden, wie in den übrigen Höhlen, und es dauerte einen Moment, bis Siggi und Gunhild erkannten, woher die Helligkeit rührte, die sie geblendet hatte und die die Stadt der Verborgenen Königin erstrahlen ließ.
Überall an den Häusern und auf den Wegen gab es Edelsteine, die hell wie Lampen glühten. Doch es war ein weiches, diffuses Licht, das diese Leuchten ausstrahlten, und als die Augen der Kinder sich erst an die Helligkeit gewöhnt hatten, war es ihnen sogar möglich, direkt in die glimmenden Steine zu schauen.
Laurion lächelte. Für ihn war das etwas Alltägliches, aber Midgards Kinder kannten dieses Wunder nicht, und sie waren wie gebannt von dem Licht in der Tiefe.
»Ich bringe euch in mein Haus, und während ihr wartet, werde ich der Königin Bericht erstatten«, sagte Laurion zu ihnen.
»Warum können wir nicht mitkommen?«, fragte Gunhild, die neugierig auf die Königin war.
»Weil«, mischte der Graue sich ein, »die Königin im Verborgenen herrscht und sich nicht jedem zeigt. Sollte sie es für richtig halten, wird sie euch empfangen.«
»Ist das hier ihr ganzes Reich?«, fragte Siggi.
»Nein.« Laurion lächelte. »Um den Dom des Lichts gibt es noch eine Reihe weiterer, etwas kleinerer Höhlen. Das alles zusammen bildet unsere Stadt, unser Heim.«
»Und was ist das da hinten?«, fragte Gunhild und deutete auf eine Stelle auf der gegenüber liegenden Seite, wo es zwischen den Häusern hell glitzerte und die Strahlen der Edelsteine in allen Farben zurückgeworfen wurden.
»Das ist der Garten der Königin. Es wachsen dort außergewöhnliche Äpfel für außergewöhnliche Leute«, sagte Laurion lächelnd und warf einen Blick auf den Grauen, der ihn böse ansah.
»Ob wir …?«, wollte Siggi fragen.
»Besser nicht«, unterbrach ihn Laurion. »Für Sterbliche sind diese Früchte nicht bestimmt.« Sein Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass er nicht mehr darüber verlauten lassen würde.
»Lass uns in die Stadt gehen«, drängte der Alte.
So stiegen sie die Treppe hinab. Das Erscheinen zweier Kinder Midgards im Reich der Königin erregte beträchtliches Aufsehen, aber die Lichtalben hatten genug Anstand, sie nicht zu bedrängen.
Allerdings wurden sie beobachtet, wie Siggi bemerkte, doch waren die Blicke nicht feindselig, sondern eher von Neugier geprägt.
Laurion führte sie durch das Gewirr der Straßen in diesem riesigen Felsendom bis zu seinem Haus.
Auf den ersten Blick schien es aus großen Balken errichtet zu sein, eine lange, von einem Giebel gekrönte Halle, aus deren Dach wie eine Krone ein Dachreiter erwuchs, darüber ein zweiter und dritter, sodass sie wirkte wie einer jener japanischen Tempel, die Siggi in einem Buch seines Vaters gesehen hatte. Alles war mit Ornamenten bedeckt, Pflanzen, die zu Tieren wurden, Ranken,
Weitere Kostenlose Bücher