Pesch, Helmut W.
Nachbeben. Die Wesenheit Thors, jene Mischung aus mächtigem Gott des Krieges, Bauern und unbekümmertem Aben-teurer, klang in ihm nach wie ein gewaltiges Echo.
Seine wilden Fahrten, das Ringen mit den Ungeheuern, das ungezähmte Wesen des Donnergottes würde Siggi für den Rest seines Lebens prägen, ebenso wie das Zwiegespräch der Götter, dessen Zeuge er geworden war, bevor ihn der Donnerer wieder verlassen hatte.
Siggi ließ Alberich, der hinter dem Amboss in die Knie gefallen war, die Schmiede und den Speer hinter sich. Die Rechte umklammerte den Hammer, sodass die Knöchel der Finger weiß hervortra-ten. Wie in Trance überschritt er den Lavaring, der glühend den Amboss umgeben hatte und nun zu schwarzer Schlacke erkaltet war, und ging auf die Stelle zu, wo Hagen immer noch kraftlos zwischen den Wachen der Swart-alfar hing.
»Wartet!«, ertönte die tiefe Stimme Alberichs hinter Siggi. »Ich habe euch versprochen, ihr könntet dahin gehen, wohin ihr wollt!«
Siggi wandte sich um. In seinem Gesicht lag wilder Grimm, ein Zorn, den er ohne die Nachwirkungen der Wesenheit Thors nicht hätte empfinden können. Siggi hob Mjölnir, den Hammer des Donnerers, um ihn gegen jeden zu verwenden, der ihm im Weg stehen würde, sei es Albe, Mensch oder Gott.
»Was ist, Nibelung? Tritt jetzt deine Hinterlist zutage?«, rief Siggi, und seine Stimme grollte wie ferner Donner.
»Hinterlist?«, antworte Hagen anstelle des Herrn der Swart-alfar und sprang auf die Füße, um, als fehle ihm nichts, an die Seite Alberichs zu eilen. »Nenne es Kriegslist; denn ich bin ein Krieger und Prinz der Swart-alfar.«
Mit allem hatte Siggi gerechnet, aber nicht damit. Er war so überrascht, dass erst wieder Leben in ihm kam, als Hagen Alberich erreicht und ihm aufgeholfen hatte.
Siggi hatte alle Mühe, sich zu beherrschen. Alles in ihm schrie danach, loszustürzen, um Alberich und Hagen mit Mjölnir niederzu-strecken. Aber etwas in ihm wehrte sich gegen blinde Gewalt, ja, verteidigte Hagen, der bestimmt mit Versprechen und dem süßen Gift der Versuchung auf die Seite der Swart-alfar gelockt worden war.
Und wenn dem so war, war es Siggis Aufgabe, Hagen zu überzeugen, dass er die falsche Seite gewählt hatte.
»Warum? Wieso hast du das getan, Hagen?«, wandte er sich direkt an den Freund – wenn er es überhaupt noch war oder je gewesen war –, aber noch bevor dieser antworten konnte, kam für Siggi die nächste Überraschung, die ihn für Augenblicke Hagen völlig vergessen ließ.
»Ho, Alberich! Sieh her!«, ertönte die Stimme Odins, die voller Erwartung und Hoffnung war. »Ich bringe dir den Lohn für die glorreiche Tat!«
Der Göttervater trat durch das gleiche Tor, durch das Alberich erschienen war. Und Siggi sah, dass Odin Gunhild in der Gewalt hatte. Fest umklammerte er ihren linken Arm; ihrem Gesicht sah man an, dass der Griff des Alten ihr Schmerzen bereitete. Auf ihrer Brust schimmerte das Gold des Halsbandes wie in qualvollen Zuckungen.
Begleitet wurden sie von drei Schwarzalben, von denen zwei den bewusstlosen Laurion mit sich schleppten.
»Hier ist es, Brisingamen, die Belohnung dafür, dass du meinen Speer neu geschmiedet hast«, verkündete Odin.
Siggi stand da mit offenem Mund. Waren denn alle Verräter? War auch Odin sich nicht zu schade, mit den Swart-alfar, die er als Feinde hingestellt hatte, gemeinsame Sache zu machen? Und doch, Siggi hätte es wissen müssen. Hatte er nicht das Gespräch zwischen Odin und Thor an der Wurzel des Weltenbaumes noch im Ohr, aus dem hervorging, dass die Götter in der Tat nur an sich selber dachten und die Menschen nur als Werkzeuge benutzten?
Für den Augenblick schien Siggi nur eine Nebenrolle in dem Dra-ma zu spielen, als Odin mit großer Geste auf Alberich zuschritt.
Der graue Mantel wehte um seine hagere Gestalt. Die Raben hockten wie zu Schatten gewordene Gedanken auf seinen Schultern.
»Dein Lohn, Nibelung! Brisingamen und eine Tochter Midgards als Beigabe!« Odins Stimme hallte durch das Gewölbe. Siggi stand in seinem Rücken, und konnte so das Gesicht nicht sehen, aber er wusste, dass es unter der Haut über dem leeren Auge arbeitete wie Maden im verfaulenden Fleisch und dass die Züge des Gottes von wilder Erwartung verzerrt waren.
Alberich griff den Speer, der vergessen auf dem schwarzen Am-bossstein gelegen hatte, und hob ihn empor. Siggi hielt den Atem an. Hatte Thors letzter Schlag doch noch getroffen? Der Speer war heil und ganz; doch wenn noch Macht darin
Weitere Kostenlose Bücher