Pesch, Helmut W.
Sohn«, begann Alberich leise, fast schnurrend zu sprechen, bevor seine Stimme geradezu explodierte:
»Töte ihn!« Sein Finger wies auf Siggi. »Töte ihn, denn er hat den Ring des Nibelungen, der mir gehört!«
Für einen Moment schien in Muspelheim jedes Geräusch zu ver-stummen. Die Stille war absolut. Alle in dem gewaltigen Felsendom erstarrten, als Alberichs Befehl wie ein Blitz zwischen sie einschlug.
Auch Siggi war für einen Augenblick wie gelähmt. Der Ring war kein Geheimnis mehr. Hagen hatte ihn verraten. Mit weit geöffneten Augen starrte er den schwarzhaarigen Jungen an, der nun der Prinz der Swart-alfar war. Quälend langsam hob Hagen den Speer, und die Spitze der Waffe wies genau auf Siggis Brust.
Täuschte Siggi sich, oder sah in den Augen Hagens tatsächlich ein Flackern, begann die eiserne Spitze des Runenspeers nicht leicht zu zittern? Siggi stand keine zehn Schritte von Hagen entfernt.
Selbst ein Ungeübter musste auf diese Entfernung treffen.
»Töte ihn, Hagen!«, dröhnte Alberichs Stimme. »Töte Siegfried!«
Atemlose Stille lag über Muspelheim; die Spannung in der Luft war geradezu greifbar. Hagen hatte den Speer des Schicksals erhoben. Jetzt brauchte er nur noch die Spitze in Siggis Brust zu versen-ken, um dem Wunsch – nein, dem Befehl – seines Vaters nachzu-kommen.
»Wirf!«
Hagen zog die Hand zurück, bereit zum Wurf. Aber Siggi sah das unmerkliche Zittern in Hagens Muskeln, den winzigen Moment des Zögerns, bevor die Entscheidung fiel.
Jetzt oder nie!
Siggi griff in den Lederbeutel. Wie von selbst glitt der schwere, einfache Goldring über seinen Finger, und zugleich machte Siggi einen Satz auf die Stelle zu, wo seine Schwester stand.
In dem Augenblick, als Siggi den Ring des Nibelungen über den Finger streifte, verschwamm seine Gestalt und war nicht mehr zu erkennen. Nur einen Lidschlag später wurde auch Gunhild unsichtbar.
Alberich, die Swart-alfar, Hagen und auch der gebrochene Odin waren für einen Moment unfähig zu reagieren. Darauf hatte Siggi gehofft. Gunhild war noch wie erstarrt, und er zog sie mit sich.
Ein Swart-alf versperrte ihnen den Weg. Siggi sah keine Möglichkeit; er schwang Mjölnir, und der Hammer Thors traf den Schwarzalben mitten auf die Brust. Rippen knackten, und dem Krieger entwich pfeifend die Luft; schmerzgebeugt sank er in sich zusammen und rang nach Atem.
»Mîm«, entfuhr es Hagen, als er sah, wie dieser wie von einem Schlag aus dem Nichts getroffen zusammenbrach. Er ließ den Speer sinken, denn es gab nichts mehr, auf das er hätte zielen können.
Siggi lief vom Ausgang weg, suchte hektisch den Boden ab, fand schließlich einen Stein, und nahm ihm vom Boden auf. Er zog Gunhild weiter in Richtung der Lavarinne, wo Hagen angekettet gewesen war. Er hatte wenig Mühe, den Schwarzalben auszuweichen und Gunhild mitzuziehen, die gar nicht richtig zu begreifen schien, was vorging.
Was Siggi überraschte, war, dass er Gunhild sehen konnte. Aber das war gut so, hatte er so doch wenigstens ein Auge auf seine Schwester.
»Ergreift sie! Lasst sie nicht entkommen!«, gellte Alberichs Schrei durch den Kuppelsaal. Seine Stimme überschlug sich fast und hallte von den Wänden wider.
In dem Moment, als die Worte des Nibelungen verklangen, warf Siggi den Stein in Richtung der Geheimtür, durch die Alberich und Odin getreten waren. Deutlich war der Aufschlag des Wurfgeschos-ses zu hören.
»Da!«, rief Alberich. »Da sind sie. Los, jagt sie! Und bringt mir den Ring!«
Als die Swart-alfar auf die Tür zueilten, kam plötzlich Leben in Laurion. Er sprang auf die Füße und riss sein Schwert aus der Scheide. Einige der Swart-alfar wichen ihm aus, aber vier Kriegern, unter ihnen dem verwundeten Mîm, konnte er den Weg verstellen, sodass sie sich diesen erst freikämpfen mussten.
»Sei ganz ruhig«, nutzte Siggi den Tumult, um Gunhild ins Ohr zu flüstern. »Wir sind unsichtbar. Keiner wird uns erkennen!«
Gunhild sagte nichts, dann nickte sie langsam, und es schien Siggi, als erwachte seine Schwester nach und nach aus einem furchtbaren Albtraum, der sie umfangen hatte.
Laurion hielt die vier Krieger der Swart-alfar scheinbar mühelos in Schach. Siggi sah atemlos zu, wie der Lios-alf mit aller Geschicklich-keit kämpfte, die ihm zu Gebote stand. Immer wieder gelang es ihm, die Attacken seiner Angreifer zu parieren, ihren Hieben auszuweichen, und keinen der Gegner in seinen Rücken gelangen zu lassen.
Gunhild wollte aufschreien, als sie das
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