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Pestmond (German Edition)

Pestmond (German Edition)

Titel: Pestmond (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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nicht der Fall wäre.«
    »Und wenn dir daran gelegen wäre, Gefangene zu machen?«
    »Einen ganz bestimmten Gefangenen?«
    Hasan schwieg.
    »Dann würde ich heute Abend angreifen«, sagte Andrej. »Bei oder kurz nach Sonnenuntergang.«
    »Warum so spät?«
    »Heute Abend haben wir ungefähr die Hälfte der Route Bengasi-Malta geschafft – und sind damit weit entfernt von jedem Hafen«, antwortete Andrej. Hatte Hasan sich nicht mal die Mühe gemacht, einen Blick auf die Karten zu werfen? »Damit ist auch die Gefahr am geringsten, einem anderen Schiff zu begegnen.«
    »Also haben wir noch den ganzen Tag, um uns etwas einfallen zu lassen.«
    Andrej hörte Schritte auf der Treppe, sah über die Schulter zurück und erkannte Ali und in seiner Begleitung Ayla. Ihm fiel auf, dass es das erste Mal war, dass er das Mädchen an Deck sah. Wie immer war ihr Gesicht verschleiert, und er las Unsicherheit, beinahe Furcht in ihren Augen. Er lächelte sie aufmunternd an, aber Ayla sah nur hastig zu Boden und drehte den Kopf weg, was Andrej einen dünnen, aber schmerzhaften Stich versetzte. Wahrscheinlich dachte sie an seinen Wutanfall der vergangenen Nacht und hatte nun Angst vor ihm, dachte er bitter.
    »Sie sind wieder da«, sagte Ali, ohne sich mit einer Begrüßung aufzuhalten. Er sah müde aus. Wie jedermann an Bord hatte auch er nun die zweite Nacht in Folge ohne Schlaf hinter sich.
    »Ich fürchte fast, sie waren nie weg«, seufzte Hasan. »Wir werden kämpfen müssen … aber noch nicht jetzt. Andrej meint, dass sie erst heute Abend angreifen.«
    »Im Schutz der Dunkelheit? Ja, das klingt plausibel.« Ali sah demonstrativ zur Mastspitze hoch. »Können wir noch mehr Tempo herausholen?«
    »Nein«, sagte Andrej. »Wir werden kämpfen müssen.«
    Hasan wechselte einen kurzen Blick mit Ali und nickte dann knapp. »Glaubst du, Abu Dun und du könnt das Schiff bis Sonnenuntergang allein führen?«
    »Damit sich eure Männer bis heute Abend ausruhen können?« Andrej nickte. »Ja. Aber vielleicht sollten wir versuchen, mit ihnen zu verhandeln. An Bord dieses Schiffes sind mindestens hundert Männer, und abgesehen davon dürfte es ihnen nicht schwerfallen, uns schon aus der Ferne zu versenken. Ein Kampf könnte sich also schon von Anfang an als völlig aussichtslos erweisen.«
    »Genauso wie verhandeln zu wollen«, seufzte Hasan. »Dennoch danke ich dir für deinen Rat. Immerhin haben wir noch einen ganzen Tag. Möglicherweise fällt uns ja noch etwas ein, oder –«
    »– oder Gott lässt ein Wunder geschehen?«, spottete Andrej.
    Ali funkelte ihn ärgerlich an, doch Hasan reagierte ganz unerwartet mit einem schmalen, aber ehrlich wirkenden Lächeln. »Wer weiß! Wenn ich in meinem Leben eines gelernt habe, dann, dass man die Hoffnung niemals aufgeben soll. Vielleicht wirkt Gott tatsächlich ein Wunder, um uns zu retten, vielleicht hoffe ich auch einfach auf einen Zufall oder auf pures Glück … nenn es, wie du willst!«

Kapitel 20
    E s geschah nicht oft, aber dies war einer jener seltenen Tage, an denen Andrej sich fragte, ob er den Mund nicht doch etwas zu voll genommen hatte. Hasan wäre zwar höchst erstaunt gewesen, zu sehen, wie wenig Arbeit nötig war, um ein Schiff bei gleichmäßigem Wind auf Kurs zu halten, wenn die Segel erst einmal gesetzt und das Ruder auf der richtigen Position fixiert war, doch die Pestmond war kein Bötchen, und auch Männer wie Abu Dun und er konnten nicht an zwei Orten gleichzeitig sein. Bereits gegen Mittag begann Andrej die Erschöpfung zu spüren, und nicht einmal eine Stunde später hatte er zum ersten Mal den Gedanken erwogen, Hasan zu beichten, dass er seine Kräfte möglicherweise doch überschätzt hatte. Dass Abu Dun nicht mit bösen Bemerkungen darüber geizte, dass er dieses Angebot in ihrer beider Namen (und ohne ihn zu fragen) unterbereitet hatte, machte es auch nicht unbedingt einfacher.
    Immerhin hatte der Wettergott ein Einsehen mit ihnen, denn er verzichtete darauf, sie mit weiteren bösen Überraschungen zu traktieren oder sie gar von ihrem Kurs abzubringen, der sie mit etwas Glück direkt auf die Landenge zwischen Sizilien und Kalabrien zusteuern lassen würde. Am späten Nachmittag frischte der Wind aus Südwest ein wenig auf, was dazu führte, dass die Pestmond etwas Fahrt aufnahm und jetzt tatsächlich wie von selbst durch die nördlichen Ausläufer des Libyschen Meers glitt. Einmal wetterleuchtete es kurz am Horizont, ohne dass daraus aber tatsächlich ein Unwetter

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