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Pestmond (German Edition)

Pestmond (German Edition)

Titel: Pestmond (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Hand abzuschütteln, aber es gelang ihm nicht. Der Nubier zog ihn weiter mit sich und bugsierte ihn grob die kurze Treppe hinauf und durch die schmale Tür zu Vercellis Kajüte. Kaum waren sie drinnen, da versetzte Abu Dun ihm einen Stoß in den Rücken, der ihn auf die andere Seite des winzigen Raumes zum Bett stolpern ließ.
    »Bist du verrückt geworden, Hexenmeister?«, knurrte er. »Was soll das? Ich dachte immer, ich wäre derjenige, auf den aufgepasst werden muss. Was ist in dich gefahren?«
    Andrej fuhr so schnell zu ihm herum, wie es in der Enge des Raumes möglich war, und konnte sich kaum noch beherrschen, nicht die Faust zu ballen und dem Nubier ins Gesicht zu schlagen. Es war ihm gleich, wem er gegenüberstand. Er wollte wehtun, irgendjemanden verletzen, und es spielte keine Rolle, wen. Da war etwas in ihm, das Blut sehen wollte.
    »Wirst du dich beruhigen, Hexenmeister, oder muss ich es tun?«, fragte Abu Dun.
    »Was genau wolltest du mir denn so Wichtiges zeigen?«, fragte Andrej gepresst.
    »Du bist der größte Dummkopf, der mir seit Langem untergekommen ist! Was sollte dieser Unfug gerade? Der Mann hat vollkommen richtig entschieden. Du an Alis Stelle hättest dasselbe von ihm erwartet!«
    Als ob er sich das nicht schon selbst gesagt hätte! »Darum geht es doch gar nicht.«
    »Worum dann?«, fragte Abu Dun.
    Andrej blieb ihm die Antwort schuldig. Die Wahrheit war schlicht, dass seine Wut keines Grundes bedurfte.
    »Ja, das habe ich mir gedacht«, grollte Abu Dun. »Verdammt noch mal, was ist denn los mit dir, Hexenmeister?« Er zeigte auf Andrejs verbundenen Fuß. »Liegt es daran?«
    Statt zu antworten, ließ sich Andrej auf die Kante des schmalen Bettes sinken und streifte den zerrissenen Stiefel und den Verband ab, den er wie stets nur aus dem Grund trug, um zu verbergen, das darunter keine Wunde war.
    Zumindest war es bisher so gewesen.
    Der tiefe Biss, den der Untote ihm beigebracht hatte, war tatsächlich verschwunden, doch er hatte Spuren hinterlassen. Die Abdrücke der Zähne waren deutlich zu erkennen, und die Haut ringsum hatte sich dunkel verfärbt, an einigen Stellen beinahe schwarz. Und nun, des stützenden Verbandes beraubt, begann sein Fuß so rasch anzuschwellen, dass man dabei zusehen konnte.
    Mit spitzen Fingern betastete Andrej den Knöchel und verspürte einen leisen Schmerz, der aber sofort verschwand, als er die Hand zurückzog. Doch er war besorgt. Auch wenn es jedem anderen so vorgekommen wäre, als heilte seine Wunde mit fantastischer Schnelligkeit, sodass bis morgen nur mehr sein zerrissener Stiefel an den Zusammenstoß mit der unheimlichen Kreatur erinnern würde: Die Bissspuren, die Hautverfärbungen, das dürfte es nicht geben. Dabei wusste Andrej, dass der tote Seemann ihm viel mehr angetan hatte, als nur ein Stück Fleisch aus seinem Fuß zu reißen. Es war ein Tausch gewesen, denn er hatte auch etwas zurückgelassen, das nun in seinem Blut brannte und seine Gedanken vergiftete. Der Zorn war nicht mehr so heiß und nahezu unbezwingbar wie gerade, aber dennoch präsent, als lauerte er nur auf einen Moment der Unaufmerksamkeit, um seinen Verstand erneut in Besitz zu nehmen. Und er war ganz und gar nicht sicher, dass es ihm auch das nächste Mal gelingen würde, der rasenden Wut Herr zu werden. Er war nicht einmal mehr sicher, ob es ihm gerade gelungen wäre, wäre Abu Dun nicht im letzten Moment aufgetaucht, um ihn zur Vernunft zu bringen.
    Abu Dun kannte ihn lange genug, um zu wissen, was er dachte. »Keine Sorge«, sagte er ernst. »Ich passe schon auf dich auf.«
    Andrej empfand ein flüchtiges, aber dennoch sehr tiefes Gefühl von Dankbarkeit und setzte dazu an, es auch in Worte zu fassen. Aber er konnte es nicht. Das Etwas in ihm machte es ihm unmöglich, etwas anderem als Zorn Ausdruck zu verleihen. Obwohl ihm das Gefühl Angst vor sich selbst einflößte, war er machtlos dagegen.
    Also sagte er nur: »Das beruhigt mich ungemein«, und beugte sich vor, um seinen Stiefel wieder anzuziehen, ließ ihn dann aber fallen, als er sah, in welch desolatem Zustand er sich befand. »Und wenn du mir wirklich einen Gefallen tun willst, dann schau dich auf diesem Wrack um, ob einer von Vercellis Piraten vielleicht seine Stiefel vergessen hat.«

Kapitel 19
    S tiefel hatte Abu Dun nicht auftreiben können, wohl aber ein Paar schwerer Schuhe, die zwar klobig waren, aber so perfekt passten, als wären sie eigens für Andrej angefertigt worden, und sogar noch einigermaßen intakt

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