Pestmond (German Edition)
Hasan. »Und es geht mich auch nichts an. Wir haben unsere Mission zu erfüllen, und dabei werden wir uns von nichts und niemandem aufhalten lassen.« Mit einer energischen Handbewegung brachte er Abu Dun, der etwas erwidern wollte, zum Schweigen. Ali und die anderen Männer rückten ein Stück vor. Unter ihren Mänteln schimmerte das Metall von Kettenhemden, und als sie die Hände mit den schwarzen Dornenhandschuhen vor der Brust verschränkten, sahen sie aus wie Wesen aus einer anderen Welt.
»Geh noch einmal hinunter und sieh nach Ayla, Ali«, befahl Hasan. »Und sollte … sollte es schlecht enden, dann weißt du, was zu tun ist.«
Gehorsam entfernte sich Ali durch dieselbe Tür, durch die sie gerade heraufgekommen waren. Hasan wandte seinen Blick wieder nach Süden. Dafür, dass er angeblich nicht wusste, wer ihre Verfolger waren und warum sie hinter ihnen her waren, dachte Andrej, wusste er ziemlich viel über sie. Immerhin genug, um dafür Sorge zu tragen, dass seine Adoptivtochter ihnen nicht in die Hände fiel.
Andrej trat neben Hasan, um ebenfalls nach Süden zu blicken.
Er meinte erneut etwas zu spüren, etwas Großes und ungemein Gefährliches, das sich der Pestmond mit der unaufhaltsamen Beharrlichkeit einer Naturgewalt näherte.
Oder spielten ihm seine Sinne einen Streich? Sie alle erwarteten ihren Verfolger aus dieser Richtung, und der menschliche Geist war gut darin, Dinge zu sehen, die gar nicht da waren, wenn er sie nur intensiv genug erwartete. Seine Hand schloss sich um den Griff des kostbaren Saif, den er an der Seite trug.
»Es wird zum Kampf kommen«, stellte Hasan ruhig fest. »Und es ist wichtig, dass wir ihn gewinnen. Wichtig für unsere Mission, aber auch wichtig für dich, Andrej und erst recht für deinen Freund.«
»Ich weiß …«
»Ich bin mir nicht sicher, ob du wirklich weißt, worum es für euch geht«, unterbrach ihn Hasan. Als er weitersprach, nahm seine Stimme einen eindringlichen Klang an. »Vergiss niemals, dass ich einen ganz speziellen Handel mit dem Tod abgeschlossen habe, damit Abu Dun überhaupt noch einmal zu dir zurückkehren konnte. Bring das nicht durch vorschnelle Aktionen in Gefahr!«
Andrej wollte antworten, doch da drehte der Wind, und das Segel über ihnen erschlaffte für einen kurzen Moment und spannte sich dann mit einem weichen, nassen Knall. Hasan war nicht der Einzige, der erschrocken herumfuhr und wieder nach Süden blickte. Die Pestmond legte sich knarrend auf die Seite und richtete sich gleich darauf mit einem Ächzen wieder auf, das an das Stöhnen eines riesigen lebendigen Wesens erinnerte. Alle suchten mit einem raschen Seitwärtsschritt das Gleichgewicht zu halten, und der Wind, nunmehr aus einer anderen Richtung kommend, trug einen zweiten und gleichartigen Laut heran, weiter entfernt, aber ungleich kraftvoller und hundertmal so bedrohlich. Dieses Mal hatten ihn seine Sinne nicht genarrt.
Schweigend trat Abu Dun neben ihn, und nur einen Moment später erschien auch Ali wieder an Deck. Er hatte sein Schwert gezogen und trug einen großen Weidenkorb unter dem anderen Arm, der mit einem schwarzen Tuch abgedeckt war und sehr schwer sein musste.
»Ayla?«, fragte Hasan knapp.
»Sie ist unter Deck«, antwortete Ali, während er geschickt den Korb absetzte. »Aziz und Mahmut passen auf sie auf.«
»Gut«, sagte Hasan.
Andrej war anderer Meinung. »Dieses Schiff hat Kanonen. Wenn eine Kanonenkugel den Rumpf durchschlägt, dann ist es dort unten gefährlicher als hier.«
»Sie werden nicht auf uns schießen«, sagte Hasan. »Zumindest nicht mit Kanonen.«
»Ach?«, fragte Abu Dun. »Und darf ich fragen, warum?«
»Das darfst du«, antwortete Hasan. Und wandte sich demonstrativ der Reling zu.
Und damit begann das Warten.
Einem Atemzug folgte der nächste und wieder der nächste; die Zeit schien sich dehnen, zu einer Ewigkeit zu werden, während der Wind noch zweimal drehte und sich die Pestmond schüttelte wie ein Beutetier, das vergeblich versucht, seinem viel größeren und schnelleren Jäger zu entkommen. Als schließlich irgendwann die Caravelle hinter ihnen aus der Nacht auftauchte, empfanden sie alle ein Gefühl bizarrer Erleichterung.
Ein Raunen lief über das Deck. Auch Andrej erschrak beim Anblick des lang gezogenen Schattens, der sich hinter ihnen aus der Dunkelheit schälte und einfach kein Ende zu nehmen schien. Er hatte gewusst, was für ein Schiff sie verfolgte, aber wie so oft war es eine Sache, etwas zu wissen, und eine ganz
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