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Pestsiegel: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Pestsiegel: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Pestsiegel: Historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Ransley
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wieder kam stellenweise die Sonne durch, als wir hinunter nach Aldgate galoppierten. Ich empfand eine plötzliche Aufwallung von Glück. Ich hatte keine Ahnung, was mich auf dem vor mir liegenden Weg erwartete, und ich scherte mich auch nicht drum, denn ich hatte das Gefühl, die Antwort auf alles zu haben. In diesem Moment kümmerte ich mich nicht einmal mehr um die Worte, die die Welt verändern würden. Es gab eine große Sache, die sich nicht zu ändern brauchte. Und die sich niemals ändern würde. Überall sah ich Liebe: in einer Mutter, die ein weinendes Kind tröstete, in einem Mann, der mit einem Mädchen scherzte, das Äpfel verkaufte; selbst in einem alten Mann und einer alten Frau, die sich zankten, wie sie es vielleicht schon seit Jahren taten. Die graue Stute schien meine Stimmung aufzunehmen, ihre Unrast legte sich, als ich sie tätschelte.
    »Habt Ihr das Mädchen gevögelt?«
    Ich tat, als hätte ich Eaton nicht gehört und drängte die Stute voran, doch Eaton überholte mich mit vollendeter Leichtigkeit. Seine Narbe zuckte wieder und schien zu lächeln, bis sie zeitweilig in seiner Wange verschwand. »Also nein. Habe mir schon gedacht. Ich kannte auch einmal eine solche Frau.«
    Erstaunt starrte ich ihn an. Nie zuvor hatte er Gefühle für irgendeine Kreatur gezeigt, für Frauen zuallerletzt. »Stolz«, fuhr er fort, die Lippen schmal, den Blick starr gerade aus. »Sie wollen dich und niemanden sonst. Sie wollen dich, aye, und das ist sehr gut, aber diese Sorte will dich, wie ein Mann ein Weib will, und das ist schlecht, sehr schlecht. Unnatürlich.« Er fiel in Schritt, als ein Trupp der Bürgergarde die Straße nach Lothbury kreuzte, vorneweg wehte die Sturmfahne Gott ist mit Uns – wer kann gegen Uns sein?
    »Ihr habt recht getan, ihr nichts zu erzählen. Aber macht nicht den Fehler, sie nicht zu nehmen, Mr Tom. Sie ist reif wie die Äpfel am Baum. Schiebt es nicht zu lange auf. Pflückt sie jetzt – bevor sie erfährt, dass sie Euch nicht heiraten kann.« Er bedachte mich mit einem lüsternen Grinsen.
    Er widerte mich an. Ich war kein Puritaner. Wenn Luke oder Will solche Dinge gesagt hätten, wäre es etwas anderes gewesen. Doch es war, als hätte er meine hoffnungsfrohe Stimmung genommen und sie in den Dreck geschleudert, den die Pferde um unsere Stiefel herum aufwarfen. Brutal gab ich der Stute die Sporen und löste damit einen unerwarteten Energieschub bei dem erschrockenen Pferd aus, das vor wenigen Sekunden noch ebenso friedlich gewesen war wie ich.
    Ein paar umherschweifende Soldaten pressten sich gegen die Hauswand, als ich unvermittelt auf sie zu galoppierte. Ich hüpfte und rutschte im Sattel auf und ab, verlor beinahe die Zügel und bekam sie gerade eben noch zu fassen, als die Stute mit furchterregender Geschwindigkeit um die Ecke in die Broard Street einbog, schnurstracks auf ein paar Marktstände zu. Ich schloss die Augen. Das Tier schien entschlossen, über die Stände hinwegzuspringen, wich indes im letzten Moment aus. Eine Frau kreischte. Kinder jauchzten, riefen »Ausreißer!« und warfen mit Gemüse.
    An der nächsten Ecke wurde ich erst in die eine, dann in die andere Richtung geschleudert. Ich verlor einen Steigbügel und dann erneut die Zügel. Vor mir näherte sich eine Mietkutsche. Die Bremsen quietschten ohne Unterlass, und ich sah nur noch den zu einem Schrei aufgerissenen Mund des Kutschers. Ich klammerte mich verzweifelt an den Sattel. Ich rutschte. Die Pflastersteine rasten auf mich zu. Eine Hand packte mich und zerrte mich zurück in den Sattel. Dann schnappte sie sich die Zügel meines Pferdes und riss das Pferd seitlich neben die Mietkutsche. Es war nicht genügend Platz, um vorbeizureiten, und Eaton zog das sich aufbäumende Pferd nach unten und beruhigte es. Die Kutsche war zum Stehen gekommen, und augenblicklich stieg der Kutscher vom Bock herab und brüllte mich an. Eaton warf ihm einen Blick zu, und der Mann verzog sich murmelnd. Dann wandte er sich mit bebender Stimme an mich.
    »Macht das nie wieder!«, sagte er.
    Ich hatte nicht genug Atem, um ihm antworten zu können, und kaum genug Kraft, um den Kopf zu heben. Ich hoffe, ich war niemals so hart und grausam zu einem Pferd wie Eaton, aber er war es, der mir auf jenem Ritt nach Poplar beibrachte, wie man ein Pferd lenkte. Ich vergaß zu zählen, wie oft er mich anbrüllte, die Zehen nach außen und die Knie nach innen zu drehen, bis ich mich auf unerklärliche Weise im Einklang mit den Bewegungen des

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