Pestsiegel: Historischer Kriminalroman (German Edition)
und ich taumelte und schwankte im Matsch, bis Bryson mich mit einem dicken Knüppel vorwärts stieß, mit dem normalerweise das Tor offen gehalten wurde. Gardiner zog seinen Stoßdegen und folgte uns, wobei er seine Maske fest ans Gesicht drückte.
Ich stolperte über die kreisrunden Furchen im Matsch, die von dem ständig wendenden Karren eingepflügt worden waren. Der Schlamm saugte an meinen Stiefeln und gab sie nur widerwillig wieder frei; er spritze hoch bis zu meinen Wangen und schien den allmählich heller werdenden Himmel zu beschmutzen. Der furchtbare Gestank war nicht so erstickend wie auf dem Karren, aber nur, weil er überlagert wurde von dem verstohlenen, Übelkeit erregenden süßlichen Kalkgeruch. Die beiden Männer, die mich antrieben, verfielen in Schweigen, bis ich stehen blieb und keinen Schritt weiterging. Keine der Zeichnungen, die ich je von der Hölle gesehen hatte, konnte an dieses Bild heranreichen. Sie waren Lügen, ein Maivergnügen aus tanzenden Teufeln und Jahrmarktsmonstrositäten. Besser in solchen Scheinfeuern zu brennen und zu schreien, als leblos in dieser Grube zu liegen. Man hatte einige Versuche unternommen, die Leichen mit Erde zu bedecken, doch nach dem letzten Regen hatte sich ein kalter, stinkender See gebildet, bedeckt mit dickem, kalkigem Schaum. Gelegentlich stieg eine Gasblase auf, durch die man hier die Knochen einer Hand, dort den starren Blick eines Kindes sah.
Ich wich zurück, stolperte gegen Bryson, der mich festhielt, stur und unbeteiligt wie ein Straßenkehrer, für den Moder und Dreck das täglich Brot waren. Gardiner schnippte mit seinem Degen in meine Richtung, doch der Gestank hielt ihn auf Abstand und ließ ihn die Maske vor die Nase pressen. »Ich sehe doch, dass deine Zunge sich lockert, Tom.« Ich sagte nichts, sondern zerrte am angeschnittenen Seil um meine Handgelenke, doch es riss nicht.
»Wo ist der Anhänger?«, blaffte er. »Bring ihn näher ran, Mr Bryson. Ich will sein Gedächtnis schärfen.«
Selbst Bryson schien unwillig. »Macht Ihr es, Captain. Euer Degen ist länger als mein Knüppel.«
Gardiner fluchte und stieß mich nach vorn. Fruchtlos zerrte ich an den Fesseln, glitt aus und fiel. Mit seinen Stiefeln schob Gardiner mich dichter an den Rand der Grube. »Wirst du es mir sagen? Ich schwöre dir, wenn nicht …«
Bryson hob den Knüppel über seinen Kopf und ließ ihn auf Gardiner niedersausen. Er hätte ihn bewusstlos geschlagen, doch der Biberhut dämpfte den Schlag. Mein Verstand war ebenso betäubt wie meine Beine, als seien beide gefesselt gewesen, und nur langsam kehrte das Gefühl in schmerzhaften Wellen zurück. Ich blickte zu Gardiner empor, der benommen über mir schwankte, dann ein Brüllen hören ließ und mit dem Stoßdegen auf Bryson losging. Bryson parierte den Schlag halb mit dem Knüppel, doch Gardiner entwaffnete ihn und riss ihm anschließend die Maske vom Gesicht. Es war Matthew.
Es schien ewig zu dauern, durch den Matsch zu rennen, der mich mit jedem Schritt aufzusaugen versuchte. Eine Ewigkeit lang schien Gardiner mit dem Schwert auszuholen, ehe ich sprang und ihn zu Boden riss. Sein Degen flog durch die Luft. Er befreite sich mit einer Rolle, sprang zu seinem Schwert und trat Matthew beiseite. Ich zerrte an dem Seil und rieb meine Haut wund, doch schließlich gab es nach. Ich riss Gardiner die Maske herunter und umklammerte seinen verletzen Arm, doch er benutzte seine Beine als Hebel und schüttelte mich ab. Er hob sein Schwert auf, während ich das Messer aus meinem Gürtel zog. Matthew lag regungslos am Boden.
Blut tropfte aus dem Riss in der Jacke über Gardiners linkem Arm. »Anhänger oder nicht«, sagte er. »Du wirst dort landen, wo er dich von Anfang an hätte reinschmeißen sollen …« Er trat nach Matthew, der stöhnend wieder zu sich kam. »Und wo er …«, er trat noch einmal zu, »… dir Gesellschaft leisten wird.«
Ich wusste nichts von den contra cavatione oder den ricavatione, den unterschiedlichen Finten und Täuschungen, die mich trotz all meiner instinktiven Reaktionen auf die wirbelnde, blitzende Klinge immer weiter zurück und an den Rand der Grube trieben, so sehr ich auch versuchte, es zu verhindern. Doch ich kannte die stoccata lunga , die Methode, die Spitze auf dem kürzesten und schnellsten Weg ins Herz zu stoßen. Zumindest hatte sich die Bewegungsabfolge in mein Gedächtnis eingegraben, mit der er Eaton getötet hatte. Die blitzende Klinge, die mir wie ein Dutzend Klingen
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