Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pestsiegel: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Pestsiegel: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Pestsiegel: Historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Ransley
Vom Netzwerk:
sondern trieb schnalzend das Pferd an und lenkte den Karren auf die Straße nach Highpoint.

    Das Haus war wieder ruhig. Die Dienerschaft war da, zumindest sah ich ein Gesicht an einem Fenster, aber sie mussten mich vom Karren steigen gesehen haben, denn sie verschwanden erneut, wie sie es zuvor getan hatten. Die Türen zum Empfangszimmer, wo Eaton die Barrikade gebaut hatte, hingen wie trunken in den Angeln. Die aufgetürmten Möbel waren weggeräumt worden, und auf dem Boden war ein großer dunkler Fleck. Kein Zeichen von Kate. Ich erreichte Frances’ Schlafzimmer lange vor Matthew, hob den Deckel einer Eichentruhe an, zog eine Schublade heraus, schleuderte Colliers und Miederschmuck fort, als sei es Theaterplunder. Die Schublade sah vollkommen normal aus. Ich schüttelte sie. Kein verräterisches Klappern. Ich leerte die zweite Schublade. Wieder nichts.
    »Du hast gelogen«, sagte ich zu Matthew, als er eintrat.
    »Tom. Wann habe ich dich je belogen?«
    »Du lügst vielleicht nicht, aber du sagst nie die Wahrheit.«
    »Gemach, gemach. Sieh dich nur an. Du veränderst dich.«
    Ich hielt das für einen weiteren seiner Witze, doch dann schaute ich in den Spiegel, zuckte zusammen und sah noch einmal hin. Fast meinte ich, Eaton, oder besser sein Geist, stünde hinter mir. Der Schwerthieb, den Gardiner mir versetzt hatte, hatte auf meiner Wange eine dunkelviolette Wunde hinterlassen, die mich von einem jugendlich-frischen Jungen in einen Mann verwandelt hatte. Auf dem Porträt konnte ich den Jungen sehen, der damals ins Rathaus gelaufen war, voller Träume, dass er eines Tages ein freier Mann sein und die Tochter seines Lehrherrn heiraten würde. Der Mann, der mir aus dem Spiegel entgegenstarrte, hatte ebenfalls Träume, doch in diese mischten sich erste Schatten aus Zurückhaltung und Verbitterung. Matthews Bild tauchte im Spiegel auf.
    »Willst du immer noch, dass ich sie öffne?«
    »Ja.«
    Er hob eine Schublade hoch. »Sieh her. Fällt dir auf, dass sie unterschiedlich dick sind?«
    Ich riss sie ihm aus der Hand und hätte sie fast zertrümmert, doch er hielt mich auf und zeigte mir mit aufreizender Langsamkeit die sorgfältig verleimten Holzpfropfen, welche die Holzschrauben verbargen. Es schien ewig zu dauern, bis er die Pfropfen und Schrauben entfernt und den falschen Boden herausgenommen hatte. Auf einem Kissen aus Samt lag der Stonehouse-Anhänger. Es war, als stünde das Zimmer in Flammen. Ich zuckte zusammen, als der Falke mit seinem smaragdgrünen Schnabel nach mir zu hacken schien. Sein Nest war ein riesiger polierter Rubin, umgeben von einem Miniaturwald aus emaillierten Blumen und Insekten, eingefasst in einen goldenen Rahmen.
    Jetzt versuchte Matthew mich nicht mehr aufzuhalten. Welche Kräfte mich auch immer zu dem Anhänger hingezogen hatten, sie brachten ihn nun zum Schweigen. Er beobachtete mich, während ich angestrengt überlegte, welche Juwelen Lucy Hay gedrückt hatte, und in welcher Reihenfolge. Am Rand des Miniaturwaldes gab es zwei kleine Smaragde, deren Grün dunkler war als bei den anderen, Jadegrün hatte sie es genannt. Ich hielt einen fest und drückte dann den anderen. Ich zog den Kopf ein, als der Falke mich fast am Auge traf. Der Rubin war aus seiner Halterung gesprungen und gab den Blick auf eine ovale Aushöhlung frei, in der man ein Porträt aufbewahren oder hineinmalen konnte. Doch es gab kein Porträt.
    Ich hatte das Märchen vom Bild meines Vaters, das mir entgegenstarren würde, so vollkommen akzeptiert, dass ich mich fassungslos hinsetzte, unfähig zu glauben, dass dort nichts war, unfähig zu erkennen, was dort war.
    »Sieh mal«, sagte Matthew und deutete auf ein kleines zusammengefaltetes Stück Papier, eingeklemmt am Boden des Fachs.
    Ich erinnerte mich daran, was meine Mutter nach Kates Worten gesagt hatte: Wenn mir irgendetwas zustößt, gib das dem Kind. Im Porträtfach ist der Beweis, wer der Kindsvater ist . Kein Porträt, aber ihr »Beweis«, was immer das sein mochte.
    Vorsichtig holte ich das Papier heraus und faltete es auseinander. Ich erwartete einen Namen, doch wie bei den Irrlichtern kam ich der Wahrheit zwar stetig näher, doch nur solange, bis sie mir erneut auswich. Es war kein Name, sondern eine Art Geheimcode. Mein Blick verschwamm, als ich mich abmühte, die Buchstaben zu lesen, denn Märchen waren überzeugend und einfach, aber letztendlich töricht. Wo hätte meine Mutter, in den Wirren jenes Tages und Abends, ein Porträt meines Vaters hernehmen

Weitere Kostenlose Bücher