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Pestsiegel: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Pestsiegel: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Pestsiegel: Historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Ransley
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Er trug eine Maske, die nur seine Augen freiließ, sowie einen langen Lederumhang. Dieser erinnerte mich an meinen alten Josephmantel und trug die Spuren seiner Arbeit, Flecken, die ihn wie eine altertümliche Weltkarte aussehen ließen.
    »Es ist genau hinter den Bäumen, Captain«, sagte er.
    Gardiner blieb kurz stehen. »Hast du noch eine Maske?«
    »Nee, tut mir leid.« Brysons Augen blitzten beruhigend auf. »Euch passiert nichts. Gab dieses Jahr nicht viel Kundschaft. Is’ nur ’ne Gewohnheit von mir, mehr nicht. Haltet einfach nur genug Abstand.«
    Nat sah alles andere als beruhigt aus, als er mich weiter vorwärtsstieß. Das Pferd, das vor den Pestkarren gespannt war, blickte kurz auf und graste dann friedlich weiter. Ein leichter Gifthauch, der charakteristische Geruch der Pest, haftete dem Karren an, ein saurer Gestank nach Eiter und Schweiß, vermischt mit dem milchig-süßen Geruch des Kalks. Die Klappe des Karrens war geöffnet, und auf dem vergammelten Stroh konnte ich zwei Leichen erkennen. Es waren Männer, beinahe nackt. Im tiefen Schatten sah es aus, als seien sie zerstückelt worden. Ich erhaschte einen Blick auf ein verfaulendes Gesicht, durch das schon der im Mondlicht silbrige Knochen hindurchschimmerte, und einen verdrehten, halbverwesten Arm. Nat murmelte ein Gebet, und selbst Gardiner wandte sich ab.
    Bryson hob die Leichen an, als wären es Säcke mit Rüben, um auf dem nassen dunkelbraunen Stroh Platz zu schaffen. »Habe ich Euch nicht gesagt, dass ich schon zwei Fahrgäste habe, Captain?«
    Gardiner schluckte und fand zu seiner üblichen Großtuerei zurück. »Ach ja. Ich hatte es vergessen. Das hast du. Also los«, schnauzte er Nat an. »Steh nicht so rum. Rauf mit ihm!«
    Bryson zündete eine Tonpfeife an, hob die Maske, um ein paarmal paffend daran zu ziehen, und sagte, es sei eine spezielle Mischung aus Virginiatabak und Kräutern, gut gegen Pest, Pocken und diverse andere Beschwerden.
    Gardiner beugte sich über mich und sagte freundlich, beinah im Konversationston: »Hör zu, Tom. Du kennst die Pest. Das Schreifieber.«
    »Blutiges Erbrechen«, sagte Bryson.
    »Schwarze Beulen.«
    Gardiner deutete nickend zum Karren. »Das ist nur ein Vorgeschmack auf das, was auf dich zukommt. Am Ende wirst du reden, warum also bist du nicht vernünftig und redest jetzt, hm?«
    Ich starrte zu ihm empor. Ich wusste, dass ich so gut wie tot wäre, wenn sie mich in den Leichenkarren werfen würden. Wenn sie mich zum Haus zurückbrächten, hätte ich noch eine Chance. Wie gering diese auch sein mochte. Doch ich wollte lieber rasch sterben als langsam an der Pest.
    »Da haben wir’s«, sagte Gardiner, als Tränen meine Augen benetzten, so sehr ich auch versuchte, sie zurückzuhalten. Es war die Freundlichkeit, die plötzliche Normalität, wie fadenscheinig sie auch immer sein mochte, die das bewirkte. Das und meine völlige Erschöpfung. »Sag es uns, und du bekommst einen heißen Birnenmost mit Zucker.«
    »Und Gewürzen«, sagte Bryson und schmatzte mit den Lippen.
    »Und Gewürzen. Besser ein lebendiger Bastard als ein toter Stonehouse, was?« Beruhigend tätschelte Gardiner meine Wange. Möglicherweise war es ein Tätscheln. Vielleicht gab er damit auch Bryson ein Zeichen. Womöglich war es auch die Erinnerung an all die Momente, in denen ich mich George beinahe ergeben hatte, um dann doch einen Wutanfall zu bekommen, der ebenso sehr meiner eigenen Schwäche galt wie ihm. Was immer es war, besinnungsloser Zorn erfüllte mich. Ich biss ihn. Er brüllte vor Schmerz auf, als meine Zähne sich um seinen Finger schlossen, und wich ruckartig zurück. Doch ich ließ nicht los, ehe er mich halb vom Boden anhob und mein eigenes Gewicht meine Zähne wegriss, zusammen mit einem Teil seines Fleisches. Gardiner saugte an seinem zerfetzten Finger und starrte darauf, ehe er mir zwei brutale Tritte versetzte. Bryson nahm die Pfeife aus dem Mund. Er und der Soldat musterten mich respektvoll.
    »Ich würde sagen, dieser Punkt geht an ihn«, sagte Bryson. »Eins zu null für ihn.«
    »Auf den Karren! Werft ihn auf den Karren!«, schrie Gardiner sie an. Sie zögerten. Vermutlich hatten sie gedacht, dass es niemals so weit kommen würde. Gardiner stieß den widerstrebenden Nat nach vorne. »Auf den Karren!« Bryson zuckte mit den Schultern, zog seine Maske herunter, und mit einer schnellen Bewegung schleuderten sie mich nach oben. Ich landete mit dem Gesicht im nasskalten, übelriechenden Stroh, richtete mich

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