Pestsiegel: Historischer Kriminalroman (German Edition)
gleich einem Kompass nach Norden. Schweigend umarmten wir einander fest, dann blickte ich ihm schweren Herzens nach, bis er auf der Straße, die er vor siebzehn Jahren mit dem Pestkarren genommen hatte, nicht mehr zu sehen war.
Südlich von Worcester stieß ich auf den Tross der Parlamentstruppen. Niemand wusste, wohin sie zogen – oder wenn sie es wussten, sagten sie es mir nicht. Als ich an einem ziemlich großen Gasthaus vorbeikam, hatte ich eine Eingebung. Eaton hatte stets das wichtigste Gasthaus einer Stadt angesteuert. Der Wirt hatte die Tür gegen die Soldaten verbarrikadiert, doch als ich unablässig dagegenhämmerte, öffnete er sie, wenn auch nur, um mir eine Pistole unter die Nase zu halten. Ich sagte, mein Name sei Eaton, und ich sei ihm Auftrag von Lord Stonehouse unterwegs. Er senkte die Pistole ein Stück, starrte meine Narbe an, schenkte mir ein kleines Bier ein und gab mir eine Nachricht, die mit dem vertrauten Falken versiegelt war.
Lord Stonehouse’ Brief war kurz und kam gleich zur Sache. Er verlangte von seinem Verwalter zu hören, der, wie Eaton es nannte, so lange für ihn die Drecksarbeit erledigt hatte.
»Irgendeine Antwort?«, fragte der Gastwirt.
»Keine Antwort«, sagte ich.
Ich übernachtete in der Herberge und brach in der Morgendämmerung auf. Es war der 23. Oktober. Es regnete den ganzen Tag nicht, was ungewöhnlich für diesen Herbst war, und die Sonne ging an einem wolkenlosen Himmel auf. Lord Stonehouse’ Brief war von einem Herrenhaus in Chadshunt abgeschickt worden, zwei Stunden zu Pferd entfernt. Daraus schloss ich, dass alle Stonehouses an diesem Tag in Warwickshire sein würden. Es rührte mich, dass beide Brüder, obwohl sie auf der anderen Seite als ihr Vater standen, ihm geschrieben hatten. Richard war bei Prinz Ruperts Kavallerie, und Edward diente als Kaplan bei der königlichen Infanterie.
In Chadshunt erfuhr ich, dass Lord Stonehouse im nahegelegenen Dorf Kineton in der Kirche war. Der Gottesdienst war fast vorbei. Statt hineinzugehen, betete ich draußen zu Gott, mich zu lenken bei dem, was ich entdeckt hatte, und bei dem, was ich zu Lord Stonehouse sagen sollte. Ich wartete direkt im überdachten Friedhofstor. Während ich betete, wurde der Weg draußen so belebt wie der Friedhof von St. Paul’s, ebenso viele Menschen wollten in die eine wie in die andere Richtung gelangen, und ein Priester in seiner schwarzen Robe versuchte, sein Pferd zwischen den Menschen hindurchzuzwingen. Es gab sogar Hausierer, die Schutzamulette verkauften. Einer hielt mir die zerfledderten Überreste einer Taschenbibel entgegen und behauptete, sie habe eine Musketenkugel aufgehalten und verfüge über besondere Kräfte. Für einen Shilling würde sie mein Leben retten. Ich zog ihn zurück, damit das Pferd des Pfarrers passieren konnte, und starrte unversehens Edward Stonehouse in die Augen. Einen Moment wirkten sie fremd, diese trockenen blinzelnden Augen, die normalerweise hinter den Augengläsern verborgen waren. Jetzt waren sie von dutzenden Falten umgeben, weil er permanent die Augen zusammenkniff, um etwas erkennen zu können. Die beiden Armeen waren in weniger als zwei Meilen Entfernung in Stellung gegangen, und selbst ein Mann mit scharfen Augen konnte sich plötzlich auf der falschen Seite wiederfinden, ganz zu schweigen von jemandem, der nur verschwommen sah.
Edward schielte zu mir hinunter. Augenblicklich wich die Farbe aus seinen Wangen. Er stieß ein entsetztes Gebrabbel aus, sagte, das Pestkind sei um seinetwillen aus der Grube gestiegen, und gab seinem Pferd die Sporen.
Ich sprang vor, rief, dass ich mit ihm reden müsse, und erwischte fast seine Zügel. Doch ich wurde auf der einen Seite vom Hausierer behindert, der sagte, ich wolle doch gewiss mein Leben für einen Shilling retten, und auf der anderen von Händen, die auf meine Schultern klopften und mich mit festem Griff packten.
»Die Narbe gefällt mir«, sagte Luke.
»Da wird den Cavalieren angst und bange«, sagte Will.
Begeistert fielen sie über mich her, und Will forderte auf der Stelle die halbe Krone, um die er gewettet hatte, dass ich bei der Schlacht dabei sein würde, während Luke abstritt, dass es überhaupt zu einem Kampf kommen würde.
»Essex wird sich aus dem Staub machen, wie er es zuvor schon getan hat.«
Inzwischen war Edward längst verschwunden, und ich stellte fest, dass ich Lord Stonehouse schon wieder verpasst hatte. Luke fand heraus, dass er zusammen mit Essex aufgebrochen war,
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