Pestsiegel: Historischer Kriminalroman (German Edition)
etwas?«
Sein Leinen war zerknittert, und auf seinem Kragen waren Weinflecken. Doch war es gerade diese Nachlässigkeit in der Kleidung, die deutlicher von seiner Macht zeugte als die feinsten Gewänder. Sein Gesicht war lang und hager, und die Nase leicht gekrümmt, wie bei dem Falken, der sein Wappentier war. Seine rabenschwarzen Augen hatten denselben unnachgiebigen, eindringlich starrenden Blick wie der Vogel. Es war schwer zu glauben, dass dies der Mann war, dessen rührenden Abschied von seinem Sohn ich heute Morgen zunichte gemacht hatte. Seine Stimme hatte die krächzende Schärfe eines anderen Vogels, der Saatkrähe.
»Du hast den Zeitpunkt gut gewählt.«
Ich hatte den Tag damit zugebracht, das Missverständnis bitter zu bereuen, den Bruch zwischen Vater und Sohn, den ich verursacht hatte. »Es tut mir leid, Sir«, murmelte ich kläglich und zuckte zusammen, als mich ein weiterer Stoß in den Rücken traf. »… Mylord.«
Gerade meine Niedergeschlagenheit reizte ihn zu unvermittelter Wut. Später erfuhr ich, dass er, wie viele starke, verhärtete Männer, Schwäche nicht ertragen konnte. Ich sah Eaton zusammenzucken, seine Narbe schien sich in seiner Wange zu verkriechen, denn er wusste, was nun käme. Lord Stonehouse sprang auf. »Es tut dir leid? Dir? Das wird dir noch leidtun! Meinst du, du könntest hier hereinspazieren und dir einfach so dein Erbe schnappen?« Er schnipste mit den Fingern vor meinem Gesicht. »Das ist es doch, oder?«
Speichel spritzte mir ins Gesicht. Ich versuchte zu antworten, aber es war unmöglich gegen diesen heftigen Wortschwall anzukommen. Er wütete gegen mich, sagte, er habe für das, was er getan habe, gebüßt. Er hatte mich eingekleidet. Mich ausbilden lassen. Gott wusste, dass er nicht mehr tun konnte! Und wie dankte ich es ihm? Indem ich die Beziehung zu seinem ältesten Sohn zerstörte! Trotz ihrer endlosen Streitereien hatten sie sich stets wieder zusammengerauft, aber jetzt war es vorbei damit, und ich sei der Grund für den endgültigen Bruch. Erst ein Hustenanfall stoppte ihn. Schwer atmend stützte er sich auf den Tisch und nahm einen Schluck Wein. Rote Adern flammten auf seinen Wangen auf.
»Keine Nachricht von Richard?«
Eaton löste sich aus dem Dunkel des Wandteppichs. »Nein, Mylord. Ihr hattet in Erwägung gezogen, ihn unter Arrest stellen zu lassen. Soll ich …«
Lord Stonehouse warf das Glas nach Eaton, der sich gerade noch rechtzeitig ducken konnte. »Unter Arrest stellen? Meinen Sohn? Für die einzige erhabene Tat, die er je begangen hat?« Eaton wischte sich den Bodensatz des Weins aus dem Gesicht. Der hasserfüllte Blick, den er Lord Stonehouse’ Rücken zuwarf, war so ungestüm, dass diejenigen, mit denen er mich bedachte, dagegen geradezu milde wirkten. Lord Stonehouse kam zu mir. Seine Wut war verraucht, ersetzt durch eine unbarmherzige Kälte. Ich zog den unbeherrschten Zorn vor. Ich dachte an die Berichte über mich, die Jahr für Jahr über diesen Tisch gegangen sein mussten, Briefe, die von diesen kalten Augen gelesen wurden, von denen ich das Gefühl hatte, als würden sie jede meiner Sünden kennen. Unheimlicherweise schien er meine Gedanken lesen zu können.
»Als ich dich damals aus dem Armenviertel herausgeholt habe, legten die ersten Berichte den Schluss nahe, dass du am Galgen enden würdest. Jetzt bist du nur einen Schritt davon entfernt.«
»Warum?«
»Warum? Er glaubt, ich bräuchte einen Grund, um ihn hängen zu lassen, Eaton.«
Eaton lachte. Es war nur ein kurzes Auflachen, denn Lord Stonehouse bedachte ihn mit einem langen kalten Blick, ehe er so dicht an mich herantrat, dass ich den Wein in seinem Atem riechen konnte. »Ich könnte dich als Hochstapler hängen lassen. Es gibt keinen Beweis dafür, wer du bist.« Der Blick aus seinen schwarzen Augen ruhte die ganze Zeit auf meinem Gesicht, während er mir erklärte, dass er das tun würde, genauso einfach, wie er den Pestbrief unterzeichnet hatte, um mich in die Grube werfen zu lassen. »Wer hat dich darauf gebracht?«, fragte er leise. Er schoss einen Blick auf Eaton ab, und der Ausdruck der Furcht auf dem Gesicht des Verwalters ließ mich erschaudern.
»Auf … auf was gebracht?«
»Du glaubtest, du könntest einfach hier hereinmarschieren und dein Erbe beanspruchen, war es nicht so?«
»Nein, Mylord! Das ist es nicht, was …«
»Es war vorsätzlich geplant.«
»Ich weiß nicht, was …«
»Wer hat dir erzählt, dass mein Sohn hier sein
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