Pestsiegel: Historischer Kriminalroman (German Edition)
auf Flugblattlänge kürzen. In aller Hast erklärte ich ihm, dass ich nicht wegen des Schatzes gekommen sei.
»Welcher Schatz?«, fragte er mit verwirrtem Stirnrunzeln.
»Ich meine das Erbe. Ich bin deswegen gekommen.« Mit diesen Worten zog ich den Brief hervor, den er Mr Black geschickt hatte.
»Wartet!« Er bedeutete den Dienern, mich loszulassen, und nahm den Brief. Er betrachtete das Siegel des Falken. Einen Moment dachte ich, es sei ein Trick von Eaton, und Lord Stonehouse habe den Brief nie zuvor gesehen, doch er war nur so unwichtig für ihn, dass er ihn vergessen hatte. Er las ihn durch, um sich den Inhalt ins Gedächtnis zu rufen, ehe er aufblickte. »Deswegen bist du hergekommen?«
»Ja, Mylord.«
»Das ist alles?«
In seiner Stimme lag ein scharfer, ungläubiger Unterton, der mich erneut aufbrachte. Ich hörte mich an wie der ohrlose Jack im Pot, als ich sagte, ich sei die letzte Person, die einen Landsitz haben wolle. Großgrundbesitzer schienen vergessen zu haben, dass es Waldrechte gab, ebenso wie die Magna …
»Sei still!«, brüllte er. Er deutete auf ein Gemälde von Highpoint House. Es war viel größer als das in Turvilles Haus und war, wie ich feststellte, viel später entstanden, denn das Dorf, das sich am Fluss erstreckt hatte, war nicht mehr da. Vielleicht hatte man es verlegt, weil es den Ausblick verdarb. »Du würdest das hier nicht haben wollen?«
»Nein, Mylord.«
»Dann bist du ein Narr.«
Erneut verärgert, und weil ich nichts zu verlieren hatte, sagte ich: »Ich verstehe durchaus, dass Euch das Probleme bereitet, Mylord.«
Seine schwarzen Augen schienen sich in meine zu bohren. Ich spürte die beiden Diener neben mir, den Blick starr geradeaus gerichtet. Ihre Hände zuckten, bereit, mich fortzutragen wie einen Gang beim Dinner. Dann knurrte Lord Stonehouse und lächelte. Es war bitter, aber immerhin ein Lächeln. »Nein, vielleicht bist du doch gar kein Narr«, flüsterte er. Die Hände der beiden Diener hörten auf zu zucken und wurden gleichzeitig wieder hinter dem Rücken gefaltet.
Lord Stonehouse blickte erneut auf den Brief. »Du bist wegen Mr Black hergekommen?«
»Ja, Mylord. Er war wie ein Vater zu mir.«
Er zuckte zusammen, kam auf mich zu und bedachte mich mit einem bohrenden Blick. »Wie ein Vater?«
»Ja, Mylord.«
Abrupt wandte er sich ab, so dass ich sein Gesicht nicht sehen konnte. Er zerknüllte den Brief, als er auf das Fenster zuschritt. Wachsstückchen lösten sich vom Siegel, fielen klackernd zu Boden und bildeten eine dünne Spur hinter ihm. Es war inzwischen ziemlich dunkel, und in den Häusern gegenüber brannten Kerzen. Ein Fenster stand offen, aber die Luft war dick und warm und so still wie die Diener, die mich bewachten. Es war so leise, dass ich ihren Atem und das Knirschen ihrer Schuhe hörte, wenn sie sich kaum merklich bewegten. Schließlich schleuderte der Lord den Brief auf den Tisch und wandte sich barsch an Eaton. »Davon hast du mir nichts erzählt.«
Eaton meldete sich zu Wort. »Es stand alles in den Berichten, Mylord. Dass der Teufel in ihm steckt, der Zorn, der …«
»Nein, nein, Eaton, das meine ich nicht.« Rastlos wandte sich der alte Mann ab. Dann, wie ein Anwalt, der plötzlich einen Fehler im Verfahren findet, stürzte er sich auf mich. »Aber wenn dein wunderbarer Mr Black wie ein Vater zu dir war – warum bist zu dann davongelaufen?«
Triumph blitzte in seinen Augen auf. Ich war ein Betrüger, hatte mir eine Geschichte ausgedacht, um zu zeigen, was für ein wunderbarer Sohn ich sei – und sein würde, im Gegensatz zu seinem eigenen. Es war eine Verschwörung, um an sein Vermögen zu kommen. Verschwörungen hatten mein Leben ruiniert, jedes Mal, wenn ich versuchte, es mir aufzubauen. Ich war fertig mit Verschwörungen. Er sah ohnehin das Schlimmste in mir, was immer ich sagte, also schleuderte ich ihm verbittert die Worte entgegen: »Ich bin davongelaufen, weil die Männer Eures Sohnes versucht haben, mich zu töten.«
Eaton zuckte erneut zusammen. Er sah aus, als sei seine Narbe frisch aufgerissen. Mir fiel ein, was Turville gesagt hatte. Dass er nicht derjenige sein wolle, der, ohne einen gänzlich unwiderlegbaren Beweis, Lord Stonehouse erklärte, sein Sohn sei ein kaltblütiger Mörder. Einen Moment lang stand er stumm da, dann schickte er die Diener fort und befahl ihnen, vor dem Zimmer zu warten. Sein Gesicht zeigte eine Kälte wie einer jener Wintertage, an denen die Nacht niemals weit zu sein schien.
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