Pestsiegel: Historischer Kriminalroman (German Edition)
der ich Stimmengemurmel hörte. Lord Stonehouse’ Stimme klang so anders, jetzt, da er nicht mehr brüllte, dass ich sie zuerst nicht erkannte.
»Das ist für dich und für dich allein bestimmt … Kann ich dir in dieser Sache vertrauen?«
»Ja, Vater.«
»Die Ärzte geben mir noch ein Jahr. Vielleicht ein wenig länger.«
Unten entstand ein Tumult. Von der Galerie aus konnte ich sehen, wie Eaton eine Tirade auf die Bediensteten losließ. Türen wurden geöffnet und geschlossen. Eaton eilte durch die Halle auf die Treppe zu. Ich flitzte den Korridor hinunter und versuchte, eine Tür zu öffnen, aber sie war verschlossen. Ich hörte, wie die Doppeltüren geöffnet wurden, und schlüpfte in einen der Alkoven hinter einem Schrank, als Lord Stonehouse und sein Sohn herauskamen. In einem Spiegel in der Nähe der Treppe sah ich Eaton heraufeilen, stehen bleiben und zaudern. Lord Stonehouse hatte den Arm um seinen Sohn gelegt. Er warf Eaton nur einen einzigen ärgerlichen Blick zu, und der Verwalter zog sich zurück.
Es war das erste Mal, dass ich Richard aus solcher Nähe sah. Locken rahmten ein Gesicht ein, das so schön war, dass ich den Atem anhielt. Seine Augen waren dunkel und stechend, und sie glänzten von den Tränen, die er zurückzuhalten versuchte. »Ich kann meine Meinung nicht ändern. Ich kann nicht!«
»Ich weiß! Ich habe es dir nicht aus diesem Grund erzählt, sondern … vielleicht sehen wir einander nie wieder.«
»Sagt nicht so etwas!«
Lord Stonehouse lächelte. Ich hatte dieses Lächeln zuvor gesehen, aber immer geglaubt, es sei ein Traum gewesen. Das war nicht das Lächeln des skrupellosen Mannes, der Eaton befohlen hatte, mich in die Grube zu werfen, oder der Mr Black aus seinem Haus werfen ließ, sondern das des Mannes, der sich vor Jahren über mich gebeugt hatte, als ich ohnmächtig geworden war, weil ich mich mit Pech verbrannt hatte. »Nun … ich glaube dir, dass es dir leid tut«, sagte er zu seinem Sohn.
Richard konnte nicht sprechen, sondern schlang nur die Arme um seinen Vater. Ich wandte den Blick ab. Richard hatte zwei Männer angeheuert, die mich töten sollten. Es war schwer, beinahe unmöglich zu glauben. Ich wünschte, ich wäre nicht gekommen. Hätte dies nicht gesehen. Ich hatte angefangen, in ihnen nichts als böse Männer zu sehen, die ich, wenn schon nicht bekämpfen, so doch zumindest überlisten könnte. Lord Stonehouse lachte. Er hatte ein volles, tiefes Lachen, das sein Gesicht verwandelte, so dass sich darin die Erinnerung an jene glücklicheren Zeiten spiegelte, die ich auf dem Gemälde mit seiner Frau Frances gesehen hatte. »Es ist seltsam«, sagte er.
»Was?«
Erstickt vor Rührung, war die Stimme seines Vaters ein kaum hörbares Flüstern. »Ich bin stolz auf dich.«
»Stolz?« Richard grinste erstaunt. »Ich … kann mich nicht erinnern, dass Ihr das je zuvor zu mir gesagt hättet.«
»Ich kann mich auch nicht erinnern, dass du jemals etwas getan hättest, an das du wirklich geglaubt hast.«
Er schaute zu einem Porträt von Charles I. hinüber. Richard folgte seinem Blick. Wenn sie ein wenig zur Seite geschaut hätten, hätten sie mich gesehen, wie ich in den Alkoven gedrückt dastand, aber sie hatten nur Augen für ihren König. Richard richtete sich auf, gerade und stolz, die Stimme vor Rührung belegt. »Ich glaube an ihn.«
»Ich weiß. Das sehe ich jetzt. Ich wünschte, ich könnte, aber … Gott sei mit dir, mein Sohn!«
»Gott segne Euch, Vater.«
Sie umarmten sich noch einmal, dann ging Lord Stonehouse zu seinem Zimmer zurück. Richard eilte die Galerie entlang auf die Treppe zu. Jeder meiner Muskeln war angespannt. Sobald Richard Stonehouse die Treppe hinuntergegangen war und bevor Eaton die Gelegenheit hatte, sie emporzusteigen, wollte ich in Lord Stonehouse’ Zimmer sein. Die Szene, deren Zeuge ich gerade geworden war, machte mir Hoffnung. Unter seiner Skrupellosigkeit verbarg sich ein Mann mit tiefen Gefühlen, der sich, davon war ich überzeugt, meiner Bitte nicht verschließen würde.
Ich schoss aus dem Alkoven heraus, als Lord Stonehouse sein Zimmer erreichte. Ich erhaschte einen Blick auf die prächtigen Wandteppiche, ehe ich aus den Augenwinkeln sah, wie Richard Stonehouse auf der Treppe kehrtmachte. Ich erstarrte. Jede Bewegung würde mich verraten. Ich hielt die Luft an, so groß war meine Angst, er könnte mich hören, wenn ich ausatmete. Er betrat das Zimmer seines Vaters, und ich hörte ihn sagen: »Mein Hut.« Fast
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