Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Peter Hoeg

Peter Hoeg

Titel: Peter Hoeg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fräulein Smillas Gespür für Schnee
Vom Netzwerk:
festgekeilt.
    »Du warst auf der Greenland Star an Land. Du warst beim ersten Feueralarm im Vorschiff. Kützow hat dich nachts mehrmals gesehen. Weshalb?«
    »Ich bin es gewöhnt, mich auf Schiffen frei bewegen zu können.«
    Ich kann sein Gesicht nicht sehen, nur seinen Umriß ahnen.
    »Welche Schiffe? Du hast dem Kapitän nur einen Paß abgegeben. Ich habe ein Fax an das Schiffahrtsamt geschickt. Auf deinen Namen ist nie ein Seefahrtsbuch ausgestellt worden.«
    Einen Moment lang ist die Versuchung aufzugeben überwältigend.
    »Ich bin auf kleineren Schiffen gefahren. Außerhalb der Handelsmarine wird nie nach Papieren gefragt.«
    »Du hast also von dieser Heuer gehört und Kontakt zu Lukas aufgenommen.«
    Das ist keine Frage, ich antworte also nicht. Er studiert mich, er kann vermutlich auch nicht sonderlich viel sehen.
    »Diese Fahrt ist nirgendwo erwähnt worden. Sie wurde geheimgehalten. Du hast dich nicht mit Lukas in Verbindung gesetzt. Du hast Lander, einen Kasinobesitzer, eine Begegnung erzwingen lassen.«
    Seine Stimme ist gedämpft, interessiert.
    »Du hast Andreas Fine Licht und Ving aufgesucht. Du suchst nach etwas.«
    Es ist, als wanderte das Eis langsam auf uns zu, über das Meer hin.
    »Für wen arbeitest du?«
    Das Unangenehme ist der Gedanke, daß er von Anfang an gewußt hat, wer ich bin. Ich erinnere mich nicht, mich seit meiner Kindheit je so sehr in der Gewalt eines anderen Menschen gefühlt zu haben. Er hat dem Mechaniker nicht erzählt, daß ich an Bord sein würde. Er wollte bei der Konfrontation dabeisein. Um zu begreifen, was uns verbindet. Das war es vor allem, deswegen hat man uns in der Messe zusammengerufen. Keine Ahnung, welche Schlüsse er daraus gezogen hat.
    »Verlaine meint, für die Reichspolizei. Irgendwann war ich selbst drauf und dran, das zu glauben. Ich habe mir deine Wohnung in Kopenhagen angesehen. Deine Kajüte hier an Bord. Du wirkst so allein. So unorganisiert. Aber vielleicht für ein Unternehmen? Einen Privatkunden?«
    Einen Augenblick lang war ich nahe daran, mich zurückfallen zu lassen, um auf den Schlaf, die Bewußtlosigkeit und das Aufhören von allem zu warten. Die Wiederholung der Frage holt mich aus der Trance. Er braucht eine Antwort. Das, auch das ist ein Verhör. Er kann nicht mit Sicherheit wissen, wer ich bin. Zu wem ich Kontakt habe. Wieviel ich weiß. Noch bin ich am Leben.
    »Ein Kind aus unserem Haus ist von einem Dach gefallen. Bei seiner Mutter habe ich Vings Adresse gefunden. Von der Kryolithgesellschaft bekommt sie eine Witwenrente. Das hat mich zu den Archiven der Gesellschaft geführt. Zu den Auskünften über die Expeditionen nach Gela Alta. Alles andere ergibt sich daraus.«
    »Wer hat dir dabei geholfen?«
    Seine Stimme ist die ganze Zeit über eindringlich und dennoch teilnahmslos gewesen. Als redeten wir über gemeinsame Bekannte, über Zusammenhänge, die uns genaugenommen nichts angehen.
    Ich habe bei Menschen nie an Kälte geglaubt. An Verkrampfung schon, aber nicht an Kälte. Das Wesen des Lebens ist Wärme. Selbst Haß ist gegen ihre natürliche Richtung gekehrte Wärme. Jetzt, hier sehe ich, daß ich mich geirrt habe. Von dem Mann neben mir geht ein physisch spürbarer, überwältigender, kalter Energiestrom aus.
    Ich versuche ihn mir als Jungen vorzustellen, versuche, mich an etwas Menschliches, etwas Verständliches zu klammern, einen fehlernährten, vaterlosen Jungen in einem Schuppen in Brønshøj. Gequält, vogelhaft zart, allein.
    Ich muß aufgeben, das Bild mißlingt, zersplittert, löst sich auf. Der Mann neben mir ist aus einem Guß und zugleich fließend, geschmeidig, ein Mensch, der sich über seine Vergangenheit hinausgehoben hat, so daß jetzt keine Spur mehr davon übrig ist.
    »Wer hat dir geholfen?«
    Diese letzte Frage ist die entscheidende. Das Wichtigste ist nicht, was ich selbst weiß. Das Wichtigste ist, mit wem ich dieses Wissen geteilt habe. Er will verstehen, was ihn erwartet. Vielleicht ist das seine Menschlichkeit, die Spur einer Kindheit in bodenloser Unsicherheit: Der Hang zu planen, seine Welt berechenbar zu machen.
    Ich nehme jedes Gefühl aus meiner Stimme heraus.
    »Ich bin immer allein zurechtgekommen.«
    Zuerst ist er still.
    »Warum tust du das?« fragt er dann.
    »Ich will begreifen, warum er gestorben ist.«
    Wenn man mit einer schwarzen Binde vor den Augen am Ende der Planke steht, kann einem das eine sonderbare Sicherheit geben. Ich weiß, daß ich das Richtige gesagt habe.
    Er absorbiert die

Weitere Kostenlose Bücher