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Peter Hoeg

Peter Hoeg

Titel: Peter Hoeg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fräulein Smillas Gespür für Schnee
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Kartenraum leer.
    Vor dem Krankenzimmer bleibe ich stehen. Ich zupfe meine Sachen zurecht, ich fühle mich nackt im Gesicht ohne Schminke.
    Der Raum ist dunkel. Die Gardinen sind zugezogen. Ich schließe die Tür hinter mir und stelle mich mit dem Rücken dagegen. Ich spüre meine Lippen. Ich wünsche mir, daß er aus der Dunkelheit kommt und mich küßt.
    Ein feiner, kühler, blumiger Duft erreicht mich. Ich warte.
    Es ist nicht die Deckenbeleuchtung, die angemacht wird, es ist die Lampe über der Pritsche, eine Art Operationslampe. Sie wirft gelbe Lichtfelder auf das schwarze Leder und läßt den übrigen Raum in der Dunkelheit liegen.
    Auf einem Stuhl, die Stiefel auf der Pritsche, sitzt Tørk. An der Wand steht im Halbdunkel Verlaine. Katja Claussen sitzt am Fußende der Pritsche und läßt die Beine baumeln. Weiter ist niemand im Raum.
    Ich sehe mich von außen. Vielleicht, weil es weh tut, in mir zu bleiben. Die drei vor mir sind mir egal, ich selbst bin mir egal. Es war der Mechaniker, mit dem ich vor einem Moment gesprochen habe. Er hat mich hierhergerufen.
    Eine Grenze, wir haben alle eine Grenze. Unsere Ausdauer hat Grenzen. Man kann nicht beliebig oft versuchen, sich dem Leben zu nähern. Nicht beliebig viele Zurückweisungen ertragen.
    »Leeren Sie Ihre Taschen.«
    Das ist Verlaine. Zum erstenmal habe ich Gelegenheit, die Arbeitsverteilung zwischen den beiden zu sehen. Ich schätze, Verlaine kümmert sich um die physische Gewalt.
    Ich trete ans Licht und lege meine Taschenlampe und die Schlüssel auf die Pritsche. Ich wundere mich, was die Frau hier im Raum soll. Das klärt sich im selben Augenblick. Verlaine nickt ihr zu, und sie tritt zu mir hin. Die Männer sehen weg, während sie mich untersucht. Sie ist so viel größer als ich, aber trotzdem gewandt. Sie beginnt auf den Knien, betastet die Fußgelenke und arbeitet sich langsam nach oben vor. Sie findet den Schraubenzieher und Jakkelsens Nadelhülse. Zuletzt nimmt sie mir den Gürtel weg.
    Tørk sieht sich nicht an, was sie gefunden hat. Doch Verlaine wägt es in der Hand.
    Wie wird es kommen? Werde ich es noch sehen?
    Tørk erhebt sich.
    »De jure stehst du unter Arrest.«
    Er sieht mich nicht an. Wir wissen beide, daß jeder Hinweis auf Formalia Teil derselben Illusion ist wie unsere gegenseitige Höflichkeit. Jetzt sind nur noch die letzten Schleier übrig.
    Er schaut vor sich hin. Dann schüttelt er langsam den Kopf, etwas wie Verwunderung geht über sein Gesicht.
    »Du bluffst wunderbar«, sagt er. »Ich würde viel lieber oben im Ausguck sitzen und dir beim Lügen zuhören, als mich unter all diesen mittelmäßigen Wahrheiten zu bewegen.«
    Einen Moment lang stehen alle drei still. Dann gehen sie.
    Verlaine schließt die Tür ab. An der Tür bleibt er einen Moment stehen. Er sieht müde aus. Sein Schweigen hat etwas Ehrliches. Er sagt mir damit, daß dies keine Zelle und die Situation keine Verhaftung ist. Es ist der Anfang vom Ende, das nun gleich kommen wird.

Das Eis

1
    In der Sonntagsschule brachten sie uns bei, die Sonne sei unser Herr Jesus, im Internat hörten wir dann plötzlich, sie sei eine permanent explodierende Wasserstoffbombe.
    Für mich wird sie immer der himmlische Clown sein. In meiner ersten bewußten Erinnerung an die Sonne schaue ich mit zusammengekniffenen Augen direkt in sie hinein, obwohl ich genau weiß, daß das verboten ist, und ich stelle mir vor, daß sie zugleich droht und lacht, wie das Gesicht des Clowns, wenn er es mit Blut und Asche schminkt, ein Stöckchen quer in den Mund nimmt und uns Kindern unbekannt, grauenerregend und freudig entgegentritt.
    Jetzt, unmittelbar bevor die Sonnenscheibe den Horizont erreicht, der schwarzen Wolkendecke noch einen Augenblick lang entkommt und ein Lichtfeuer auf das Eis und das Schiff wirft, verbildlicht sie die Strategie des Clowns. Dem Dunkel zu entkommen, indem man sich tief genug duckt. Die gefährliche Schlagkraft der Demütigung.
    Die Kronos ist auf dem Weg ins Eis. Ich sehe es von weitem, verschleiert durch zehn Millimeter bruchsicheres Glas, das von außen durch Salzkristallisation vernebelt ist. Doch das ändert nichts daran, ich spüre das Eis, als ob ich daraufstünde.
     
    Es ist eine dichte Treibeisdecke, und anfangs ist alles grau. Der schmale Kanal, durch den sich die Kronos hindurchzwängt, wirkt wie eine Aschenrinne; die Eisschollen, die meisten haben die Ausdehnung des Schiffes, sind leicht erhabene, frostverwitterte Klippenstücke. Es ist eine Welt aus

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