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Peter Hoeg

Peter Hoeg

Titel: Peter Hoeg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fräulein Smillas Gespür für Schnee
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Hals befühlt und gespürt, daß er zu heiß war, und vorsichtig sein Hemd aufgeknöpft und seine Brust frei gemacht. Ich bin aufgestanden und habe das Fenster zum Hafen geöffnet, und in dem Moment waren wir an einem anderen Ort. Wir waren bei Iita im Sommerzelt, durch die Zeltplane sickert ein Licht wie bei Vollmond. Doch es ist das Zelttuch, das das Licht blau färbt, denn als ich es zur Seite schlage, fällt die rote, matte Mitternachtssonne auf ihn. Er wacht nicht auf, er hat vierundzwanzig Stunden nicht geschlafen, wir haben in der unaufhörlichen Helligkeit nicht schlafen können, und jetzt ist er zusammengesunken. Vielleicht ist er mein Kind, es wirkt so, ich schaue auf seine Brust und seinen Hals, unter der braunen, makellosen Haut bewegen sich sein Atem und der schnellere Puls.
    Ich habe mich vor den Spiegel gestellt, die Jacke ausgezogen und mir meine Brust und den Hals angeschaut und gesehen, daß es eines Tages vorbei sein wird, selbst das, was ich für ihn empfinde, wird einmal vorbei sein. Doch dann wird immer noch er dasein und nach ihm seine Kinder oder andere Kinder, ein Rad aus Kindern, eine Kette, eine Spirale, die sich in die Ewigkeit hineindreht.
    Bei solchen Erlebnissen vom Ende und der Fortsetzung aller Dinge war ich sehr glücklich. Und bin es gewissermaßen auch jetzt. Ich habe mich ausgezogen und bin vor den Spiegel getreten.
    Wenn sich jemand für den Tod interessiert, hätte er etwas davon, wenn er mich jetzt sehen würde. Ich habe die Verbände abgenommen. Auf den Kniescheiben ist keine Haut. Zwischen den Hüftknochen zieht sich ein breites, blaugelbes Feld aus Blut, das unter der Haut koaguliert ist, über den Unterleib, dort, wo mich Jakkelsens Marlspieker getroffen hat. Beide Handflächen haben Risse, die nässen und sich nicht schließen wollen. Im Nacken habe ich eine Beule wie ein Möwenei und eine Stelle, an der die Haut weggeplatzt ist und sich zusammengezogen hat. Und dabei bin ich noch so bescheiden gewesen, meine weißen Socken anzubehalten, so daß man das geschwollene Fußgelenk nicht sieht, wie ich auch die sonstigen blauen Flecke oder die Kopfhaut nicht erwähne, die wegen der Brandwunde manchmal immer noch pochend schmerzt.
    Ich habe abgenommen. Von mager zu ausgezehrt. Zuwenig Schlaf, die Augen sind in den Schädel gesunken. Trotzdem lächele ich die Fremde im Spiegel an. Bei der Verteilung von Glück und Unglück durch das Leben gibt es keine einfache Mathematik, keine Normalverteilung. An Bord der Kronos befindet sich einer der wenigen Menschen auf der Welt, für die es sich lohnt, am Leben zu bleiben.
     
    Er ruft genau um 17 Uhr an. Zum erstenmal empfinde ich Zärtlichkeit für die Gegensprechanlage.
    »S-Smilla, in einer Viertelstunde im Krankenzimmer.«
    Ihm geht es mit dem Telefon wie mir. Er liefert knapp seine Nachricht ab und hängt wieder ein.
    »Føjl«, sage ich. Ich habe seinen Nachnamen noch nie ausgesprochen. Er hinterläßt eine Süße im Mund. »Es war schön gestern.«
    Er antwortet nicht. Die Anlage klickt, die Lampe geht aus.
     
    Ich ziehe blaue Arbeitssachen an. Das ist keine willkürliche Entscheidung. Nichts passiert zufällig, wenn ich mich anziehe. Natürlich könnte ich mich ein bißchen zurechtmachen. Sogar jetzt. Doch die blauen Sachen sind die Uniform der Kronos, ein Symbol dafür, daß wir uns jetzt unter anderen Bedingungen begegnen, daß wir die Welt jetzt anders gegen uns haben als je zuvor.
    Lange stehe ich an der Tür und horche, bevor ich auf den Flur hinausgehe.
    Ich kann mir nicht vorstellen, daß es so etwas wie die christliche Hölle überhaupt gibt. Doch das alte grönländische Totenreich scheint mir einiges für sich zu haben.
    Wenn man sich anschaut, mit welchen Unerfreulichkeiten man im Leben zu tun hat, ist es unwahrscheinlich, daß das aufhört, wenn man tot ist. Wenn es im Totenreich heimliche Rendezvous mit dem Geliebten gibt, fangen sie wahrscheinlich an wie jetzt: Ich bewege mich von Tür zu Tür. Ich sehe die Kronos nicht mehr nur als Schiff, sondern eher als Risikofeld. Ich versuche im voraus auszurechnen, wo sich dieses Risiko zur Lebensgefahr verdichten kann.
    Als jemand aus dem Fitneßraum kommt, bin ich schon auf der Toilette, bevor die Tür hinter dem Herauskommenden zuschlägt. Durch den Türspalt sehe ich Maria vorbeigehen. Schnell, verschlossen. Ich bin nicht die einzige, die weiß, daß die Kronos eine Untergangswelt ist.
    Auf der Treppe nach oben begegnet mir niemand. Die Tür zur Brücke ist zu, der

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