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Peter Hoeg

Peter Hoeg

Titel: Peter Hoeg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fräulein Smillas Gespür für Schnee
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Es gibt keinen Landgang.
    Die Mitteilung ist in ihrer mangelnden Genauigkeit absurd. Im Zeitalter der SATNAV läßt sich der Zeitpunkt der Landkennung auf ein paar Minuten genau bestimmen.
    Es kommen keine Reaktionen. Sie wissen alle, daß mit dieser Fahrt etwas nicht stimmt. Außerdem sind sie an die Verhältnisse an Bord der großen Tanker gewöhnt. Die meisten von ihnen sind auch schon sieben Monate unterwegs gewesen, ohne einen Hafen anzulaufen.
    Lukas sieht zu Tørk hinüber. Die Mannschaft ist für Tørk zusammengerufen worden. Auf seine Veranlassung hin. Möglicherweise, damit er uns zusammen sehen kann. Uns ausforschen kann. Während Lukas gesprochen hat, ist sein Blick von Gesicht zu Gesicht gewandert und hat einen Moment lang auf jedem geruht. Jetzt dreht er sich um und geht. Seidenfaden und Claussen folgen ihm.
    Lukas beendet die Versammlung. Verlaine geht. Der Mechaniker bleibt noch einen Augenblick stehen und spricht mit Urs, der ihm in wackligem Englisch etwas über die Croissants erzählt, die wir gegessen haben. Ich schnappe auf, daß der Dampf wichtig ist. Beim Gehen und im Ofen.
    Fernanda zieht ab. Sie vermeidet es, mich anzusehen.
    Der Mechaniker geht. Er hat mich nicht einmal angesehen. Ich werde ihn heute nachmittag sehen. Bis dahin aber existieren wir füreinander nicht.
    Ich denke an das, was ich bis dahin tun muß. Es ist keine gloriose Zukunftsplanung. Es ist eine mickerige und phantasielose Überlebensstrategie.
     
    Ich trödele den Flur entlang. Ich muß mit Lukas reden.
    Ich habe schon den Fuß auf der Treppe, als mir Hansen entgegenkommt. Ich ziehe mich auf das offene Deck vor der oberen Etage zurück. Erst hier merke ich, wie schlecht das Wetter ist. Die Regentemperatur bewegt sich um den Gefrierpunkt, der Regen fällt schwer und reichlich und in den kurzen Windstößen peitschend. Wo der Wind die Wellenspitzen kappt und sie als Schaum mitzieht, fegen weiße Streifen über das Meer.
    Die Tür hinter mir öffnet sich. Ich drehe mich nicht um und gehe auf den Ausgang zum Achterdeck zu. Durch den Ausgang kommt Verlaine herein.
    Das kurze überdachte Stück des Decks wirkt jetzt anders als zuvor. Man läßt sich eigentlich immer von den ewig brennenden Lampen und den beiden Türen ablenken. Von der Tatsache, daß die Fenster der Mannschaftskajüten in diese Richtung gehen. Jetzt sehe ich, daß es sich um eine der abgelegensten Stellen auf dem Schiff handelt. Von oben ist sie nicht zu sehen, und man hat nur von zwei Punkten Zugang. Die Fenster hinter mir sind die von Jakkelsens Kajüte und die von meiner eigenen. Vor mir ist nur die Reling. Dahinter geht es die zwölf Meter hinunter ins Meer.
    Hansen kommt näher, Verlaine bleibt stehen. Ich wiege fünfzig Kilo. Das ist ein schneller Ruck, und danach das Wasser. Was hatte Lagermann noch gleich gesagt? Daß man den Atem anhält, bis man glaubt, daß die Lunge zerspringt. Genau da ist das Leiden. Dann atmet man sehr heftig und tief aus und ein. Danach ist Ruhe.
    Hier ist die einzige Stelle, wo sie es tun können, ohne von der Brücke aus gesehen zu werden. Sie müssen auf diese Gelegenheit gewartet haben.
    Ich gehe an die Reling und lehne mich darüber. Hansen kommt näher. Unsere Bewegungen sind ruhig und sorgfältig. Rechts von mir ist die offene Reling unterbrochen, weil man den Freibord bis zum Geländer hinuntergeführt hat. An der Außenseite des Schiffes sind eine Reihe rechteckiger Eisenbügel in den Stahl eingelassen, die oben im Dunkeln verschwinden.
    Ich setze mich rittlings auf das Geländer. Hansen und Verlaine bleiben stehen. Wie jeder, der vor einem Menschen steht, der selbst springen will. Aber ich springe nicht. Ich packe die Bügel und ziehe mich an der Seite hoch.
    Hansen kriegt so schnell nicht mit, was vor sich geht. Aber Verlaine ist im nächsten Augenblick an der Reling und greift nach meinen Fußgelenken.
    Die Kronos wird von einer harten See getroffen. Der Rumpf zittert und legt sich nach steuerbord.
    Verlaine hat meinen Fuß gepackt. Doch die Bewegung des Schiffes drückt ihn an das Geländer und droht ihn ins Meer zu schleudern. Er muß loslassen. Meine Füße rutschen auf den Sprossen, die von Salz und Regen seifig glatt sind. Während das Schiff zurückrollt, hänge ich an den Armen. Irgendwo weit unter mir leuchtet weiß die Wasserlinie. Ich schließe die Augen und klettere hoch.
    Nach einer halben Ewigkeit öffne ich sie. Irgendwo unter mir sieht Hansen zu mir hoch. Ich bin nur ein paar Meter höher gekommen, vor

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